Wir müssen uns mehr - auch kritisch - mit dem Islam befassen

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Die IS-Terroristen tragen das islamische Glaubensbekenntnis in ihrem Logo. Jeder Moslem müsste sich gegen diese Anmaßung verwehren.

Widerwärtig, menschenverachtend, barbarisch, abscheulich: Die Reaktionen westlicher Politiker auf die Ermordung des britischen Entwicklungshelfers David Haines sprachen die Sprache des Entsetzens, und das ist verständlich. Und sie waren, das ist jetzt nicht im mindesten kritisch gemeint, voraussehbar. Höchstens die Erklärung von Premier David Cameron, der Mord sei ein „Akt des absolut Bösen“, ließ kurz grübeln: Was ist das absolut Böse? Kleist hat sich das einst gefragt und geantwortet: ,,Tausendfältig verknüpft und verschlungen sind die Dinge der Welt, jede Handlung ist die Mutter von Millionen anderen, und oft die schlechteste erzeugt die besten.“

Genau eine solche Relativierung wäre jetzt fehl am Platz, genauso wie ein Versuch des Westens, eine Mitschuld an den IS-Gräueln bei sich zu suchen. Nein, nicht zu viel und nicht zu wenig Einmischung des Westens sind schuld an ihnen; weder der Kapitalismus ist – wie vielleicht manche Linken glauben – dafür verantwortlich zu machen noch der Verfall der Werte – wie manche Rechten argwöhnen mögen.

Doch wirklich interessant sind jetzt nicht die verbalen Reaktionen von westlichen Politikern, seien sie christlich, jüdisch, agnostisch oder atheistisch. Interessant sind Reaktionen von Vertretern des Islam. Besser gesagt: Sie wären interessant. Eine Flut an Distanzierungen wäre zu erwarten und angebracht, hoffentlich kommt sie noch. Nicht weil die Moslems irgendeine Art von Kollektivschuld träfe, das zu postulieren wäre absurd. Sondern weil sich die IS-Verbrecher auf denselben Propheten berufen, den sie hochhalten, weil sie sich auf dasselbe heilige Buch stützen wie alle friedlichen Moslems.

Wie nötig solche Distanzierungen sind oder wären, illustriert die Debatte über ein Verbot von IS-Symbolen, das die österreichische Regierung plant. Ein solches Verbot wird schwer zu administrieren sein. Denn das Logo der Terrororganisation enthält das arabisch geschriebene Glaubensbekenntnis: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.“ Jeder Moslem müsste sich gegen diesen Missbrauch seiner heiligen Worte wehren.

Natürlich, keine Religion ist vor solchem Missbrauch gefeit. Im Namen Jesu sind Gräueltaten begangen worden. Und es ist im Prinzip vorstellbar, dass sich eine Terrororganisation auf Jesusworte wie „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert“ beruft. Nur würde sich dann ein Chor christlicher Theologen dagegen verwehren und erklären, warum man das nicht so interpretieren kann oder darf.

Eine objektive Lektüre des Koran hinterlasse „den Eindruck, dass der Frieden des Islam ein Frieden der Unterwerfung ist“, schrieb der niederländische Schriftsteller Leon de Winter unlängst, der Islam wolle „die Welt entsprechend den Werten eines Warlords aus dem siebten Jahrhundert neu ordnen“. Eine extreme Aussage. Aber sie muss möglich sein, darf nicht als Verhetzung abqualifiziert werden. Man muss darüber diskutieren können; wir wollen islamische Theologen hören, die erklären, dass man den Koran nicht so interpretieren könne oder dürfe. Ja, man muss auch über den Koran lächeln und spotten dürfen, Passagen über das Rösten Ungläubiger in der Hölle u.Ä. werden so vielleicht erträglicher.

Ein großes Problem im Umgang mit der islamischen Theologie ist, dass sich (noch) keine historisch-kritische Methode durchgesetzt hat. Dass der Koran den allermeisten islamischen Theologen als wörtliche Offenbarung Gottes gilt. Das ist in der christlichen Theologie längst anders: Sogar Martin Luther, dem bekanntlich die Bibel sehr wichtig war, warnte davor, sie als „papierenen Papst“ zu sehen. Natürlich kann man keiner anderen Religion vorschreiben, wie sie mit ihrer Schrift umgehen soll, aber es wäre sehr zu hoffen, dass sich liberalere, kritischere Deutungen durchsetzen.

Derzeit sieht es nicht so aus. Es ist jedenfalls keine unverschämte Einmischung in religiöse Angelegenheiten, wenn man islamischen Predigern – auch in Österreich! – genau zuhört, was sie aus dem Koran lesen. Und es wird uns allen nützen, uns mit dem Koran zu befassen. Er wird, ob wir's wollen oder nicht, unsere Welt und auch die Gesellschaften im Westen immer stärker beeinflussen.

E-Mails an:thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2014)

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