Wie immer es ausgeht: Hut ab vor den Briten

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Das schottische Unabhängigkeitsreferendum gibt der Welt ein leuchtendes Beispiel für einen zivilisierten Umgang mit dem Selbstbestimmungsrecht.

Die Schotten könnten am heutigen Donnerstag Geschichte schreiben. Wenn sie beim Referendum mehrheitlich für ihre Unabhängigkeit stimmten, setzten sie nicht nur einen neuen Staat auf die europäische Landkarte. Sie besiegelten damit auch das Ende einer verbleichenden Großmacht: des Vereinigten Königreichs. Übrig bliebe nur der Rest: Kleinbritannien und Nordirland. Das hätte weitreichende Auswirkungen: Über Nacht verlöre die Regierung in London an internationalem Gewicht. Ihr Anspruch auf einen der fünf ständigen Sitze im UN-Sicherheitsrat wäre noch fragwürdiger als ohnehin schon.

Schnell schwände der Stellenwert der Briten in der EU: Ohne fünf Millionen Schotten fiele das Königreich mit nunmehr 59 Millionen Einwohnern hinter Italien zurück. Der Austritt der Briten aus der EU rückte näher. Warum? Im eher EU-freundlichen Schottland bekommen die Tories keinen Fuß auf den Boden. Löste es sich nun los, hätten die Konservativen diesseits des Hadrianwalls bei der Wahl 2015 eine strukturelle Mehrheit und als Europaskeptiker danach beim EU-Exit-Referendum tendenziell mehr Gewicht.

Für Europa wären dies schlechte Nachrichten, auch wenn David Cameron seinen Kollegen mit seinen endlosen Extrawürsten inzwischen gehörig auf die Nerven gehen mag. Ohne Großbritannien kann die EU nicht als Akteur auf der Weltbühne gelten. Zu Recht fürchtet man in Brüssel auch ein Übergreifen des schottischen Unabhängigkeitsvirus auf Spanien, Belgien oder Italien. Deshalb auch der deutliche Wink aus der EU-Kommission, dass ein unabhängiges Schottland nicht einfach Mitglied der EU sein könne. Ein weiterer Staatenzerfall erleichterte es nicht, Europas Flohzirkus zusammenzuhalten.

Das schottische Referendum hat deshalb angesichts der steigenden Umfragewerte für das Unabhängigkeitslager zuletzt nicht nur in London Nervosität ausgelöst. Da war nicht bloß wahltaktische Panikmache im Spiel, sondern nackte Angst. London und Edinburgh streiten zwar schon länger über eine Unabhängigkeit Schottlands. Doch wirklich vorbereitet ist darauf keiner. Cameron rechnete offenbar nicht einmal in seinen ärgsten Albträumen damit, dass eine Abstimmung je so knapp ausgehen könnte. Darum ließ er das Referendum ja überhaupt zu. Und Alec Salmond, der nationalistische Erste Minister Schottlands, war mehr damit beschäftigt, seine Kampagne auf Touren zu bringen, als über den Tag danach zu grübeln.

Vor dem Votum hingen wesentliche Zukunftsfragen in der Luft. Salmond versuchte zwar, seinen Wählern vorzugaukeln, dass auch ein unabhängiges Schottland das Pfund sowie die Mitgliedschaft in EU und Nato behalten dürfe. Doch das ist keineswegs ausgemacht. London lehnt eine Währungsunion mit einem souveränen schottischen Staat ab: Man wolle den Fehler des Eurosystems nicht wiederholen. Dementsprechend unter Druck ist das Pfund geraten, auch deshalb, weil es einen Unterschied für die Handelsbilanz und das Budget macht, ob nun schottische Erdölexporte dazugerechnet werden oder nicht. Die meisten Unternehmen sind sowieso gegen eine Unabhängigkeit Schottlands: Neue Grenzen schaffen nur neue Kosten.


Doch es entscheidet heute, Donnerstag, nicht nur der wirtschaftliche Sachverstand, sondern auch das Herz. Und an die schottische Sehnsucht, nach 307 Jahren das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, hat Salmond mitreißend appelliert. Er war allerdings auch klug genug, seine nationale Bewegung als sozialdemokratische Alternative zu den Tories zu positionieren.

Die emotionale Dynamik und die Aufholjagd in den Umfragen sprechen für das Unabhängigkeitslager. Ein schottisches Wunder ist möglich: Das Pendel könnte im letzten Moment ins nationalistische Lager ausschlagen. Doch auch dann würde es trotz aller Schwarzmalerei Schotten und Kleinbriten wohl gelingen, die Scheidung in geordnete Bahnen zu lenken und Schaden zu minimieren. So wie sie der Welt schon durch das Unabhängigkeitsreferendum ein beeindruckendes Beispiel dafür gegeben haben, dass man, anders als auf der Krim, mit dem demokratischen Selbstbestimmungsrecht der Völker auch zivilisiert und konsensual umgehen kann.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2014)

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