Was schert uns die Konjunktur? Die Politik hat andere Sorgen

PK WIFO UND IHS 'KONJUNKTURPROGNOSE 2015 UND 2016': AIGINGER/KEUSCHNIGG
PK WIFO UND IHS 'KONJUNKTURPROGNOSE 2015 UND 2016': AIGINGER/KEUSCHNIGG(c) APA/ROBERT JAEGER
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Womit beschäftigt sich die Politik, wenn das Wachstum einbricht, die Löhne sinken und die Arbeitslosigkeit steigt? Sie beschäftigt sich mit sich selbst.

Der gestrige 18.September 2014 steht exemplarisch dafür, wie in diesem Land Politik gemacht wird. An dem Tag, an dem Österreichs führende Wirtschaftsforscher mitteilen, dass unsere Wirtschaft wie befürchtet dramatisch an Fahrt verliert, wälzt die SPÖ bahnbrechende Pläne. Die Bundespartei erwägt künftig nämlich ein Durchgriffsrecht bei der Erstellung von Landeslisten.

Konjunktureinbruch, Arbeitslosigkeit, sinkende Reallöhne? Dafür ist an diesem Tag leider keine Zeit bei der größeren der beiden Regierungsparteien. Da war vielmehr vorrangig, wessen Pfründe gesichert werden oder nicht. Als es darum ging, das Mandat der verstorbenen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer neu zu vergeben, wurde keine Silbe über Qualifikation oder Fähigkeiten verloren. „Frau oder Gewerkschaftler?“ lautete die einzig relevante Frage. Letzterer wurde durchgedrückt, und seither brodelt es zu Recht. Allemal hat eine Frauenquote eine höhere gesellschaftspolitische Legitimation als etwa die verkrusteten Strukturen bei Bünden, Sozialpartnern und anderen Vorfeldorganisationen.

Trotzdem schwindet an Tagen wie dem 18.September2014 die Hoffnung, dass vielleicht doch noch ein kleiner Ruck durch dieses Land und durch die Regierung gehen könnte.


Natürlich ist es ein dummer Zufall, dass diese SPÖ-Interna samt Rücktritt der oberösterreichischen Frauenchefin ausgerechnet mit der Präsentation der Herbstprognose zusammenfallen. Aber übrig bleibt wieder einmal der Eindruck, dass sich „die da oben“ vor allem mit sich selbst beschäftigen. Zumal die Anfang der Woche präsentierten Vorschläge für eine Steuerreform auch nicht gerade dazu angetan waren, das Vertrauen in die Politik zu heben.

Dass wir die Lohnsteuer senken müssen, ist mittlerweile ohnehin unbestritten. Auch Wifo-Chef Karl Aiginger und IHS-Chef Christian Keuschnigg haben gestern daran keinen Zweifel gelassen. Aber anders als man uns weismachen will, wird das am Ende für viele noch immer keine steigenden Reallöhne bedeuten. In den Unterlagen von Wifo und IHS stand es gestern schwarz auf weiß: Die realen Löhne der österreichischen Arbeitnehmer sinken seit Jahren.

Mit anderen Worten: Wenn die Regierung irgendwann tatsächlich die Steuerpläne umgesetzt haben wird, werden wir bestenfalls die Reallohnverluste der vergangenen zehn Jahre kompensieren können. Besser als gar nichts, aber keinesfalls ein Grund für euphorische Gefühlsausbrüche.

In Wahrheit gelingt es uns nur deshalb, unseren Wohlstand zu halten, weil wir mehr und mehr auf unser Erspartes zurückgreifen. Die Sparquoten sinken, wir haben begonnen, von der Substanz zu leben. Als Wirtschaftsstandort fallen wir gegenüber unseren Mitbewerbern zurück. Jetzt läuft uns Deutschland auch noch den Rang als EU-Land mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit ab. Sie erinnern sich bestimmt daran: Die freundliche Arbeitslosenstatistik haben wir uns mit dem niedrigsten Pensionsantrittsalter Europas erkauft. Ein ziemlich teurer Spaß. Der Spaß ist vorbei. Jetzt wird's nur noch teuer.


Aber immerhin führt Österreich zumindest noch ein Ranking in Europa an: die Inflationsstatistik. Ganz unter uns: Wir werden uns dafür nichts kaufen können. Preistreiber Nummer eins ist das Wohnen. Schuld daran ist nicht nur die Knappheit von Wohnraum, sondern die zum Teil geschmalzenen Preiserhöhungen bei öffentlichen Abgaben. Wasser, Energie, Müll sind empfindlich teurer geworden.

Vater Staat redet von Steuersenkung und erhöht im gleichen Atemzug Gebühren. Da passt die dieser Tage angekündigte Erhöhung der Portogebühren gut ins Bild. Wer profitiert als Mehrheitseigentümer der Post? Erraten: Vater Staat.

Von Albert Einstein stammt der Satz „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“. Der 18.September 2014 steht symbolisch für eine politische Denkweise, mit der wir in diesem Land keine Probleme lösen werden.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2014)

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