Das Schlachthaus Syrien, der Irak-Konflikt und die Kurdenfrage

(c) REUTERS (MURAD SEZER)
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Die Luftangriffe in Syrien sind ein wichtiger Schritt im Kampf gegen den IS. An der Lösung der großen politischen Fragen führt dennoch kein Weg vorbei.

Die Operationspläne lagen schon bereit. Was fehlte, war nur noch der Angriffsbefehl aus dem Weißen Haus – damals vor einem Jahr, als die von Barack Obama gezogene rote Linie offenbar überschritten worden war. Damals wollten die USA Luftschläge gegen Syriens Regime durchführen, dem der Westen die Schuld an Giftgasangriffen zuschrieb. Da sich Machthaber Bashar al-Assad bereiterklärte, seine Chemiewaffen auszuhändigen, wurde die Operation wieder abgesagt.

Dienstagmorgen war es schließlich so weit: Auf syrischem Staatsgebiet detonierten amerikanische Bomben und Marschflugkörper. Ins Visier gerieten nun aber nicht die Regimetruppen, sondern die Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) und mit der al-Qaida verbündete Gruppen. Die USA und ihre Alliierten beschränken sich nicht mehr nur darauf, taktische Angriffe gegen den IS im Irak zu fliegen. Jetzt schlagen sie im Herzen des sogenannten Kalifats zu – in Raqqa, der Hauptstadt der Jihadisten, von wo aus diese, lange ungestört, ihr bizarres Reich regieren. Auch wenn die völkerrechtlichen Implikationen einer Militäraktion auf syrischem Gebiet kompliziert sind: Militärisch ist es richtig und nötig, die Angriffe auf die IS-Hochburgen in Syrien auszuweiten.

Damit gerät ein in den vergangenen Monaten weitgehend vergessener Konfliktschauplatz wieder ans Licht der Weltöffentlichkeit: das Schlachtfeld Syrien, in dessen Morast aus Blut, Elend und Verzweiflung Gruppen wie der IS und al-Nusra erst so richtig gedeihen konnten. Der Krieg in Syrien ist eine von drei großen ungelösten Fragen, deren Brisanz durch die jüngsten Geschehnisse wieder deutlich geworden ist. Er hat mittlerweile apokalyptische Ausmaße angenommen. Fast 200.000 Menschen haben ihr Leben verloren. Jeder zweite Syrer musste seinen Wohnort verlassen. Die Nachbarländer nahmen hunderttausende Flüchtlinge auf. Die Kriegsvertriebenen, die in Europa – und in Österreich – ankommen, sind nur Tropfen aus einem Meer an verzweifelten Menschen, die sich vor Krieg, Mord und Terror in Sicherheit bringen wollen.

Mit dem Aufstieg des IS konnte auch Assad vorerst seine Macht konsolidieren. Die sogenannten moderaten Rebellen wurden zwischen Assad und Islamischem Staat zerrieben. Regime und IS bekämpfen die Freie Syrische Armee. Und oft schien es, als würden beide dabei zusammenarbeiten. Verlierer sind die Oppositionellen, die vor drei Jahren mehr Mitbestimmung forderten. Eine Lösung des Syrien-Konflikts rückt in immer weitere Ferne. Doch solange dieser Krieg weiter tobt, wird er auch weiterhin Monster wie den IS gebären.

Die zweite ungelöste Frage ist der Konflikt im Irak. Schon vor eineinhalb Jahren warnten Beobachter vor dem Wiederaufflammen des Bürgerkriegs zwischen schiitischen und sunnitischen Milizen. Genau das ist passiert, im Gewand des IS-Vormarsches. Die Extremisten hatten ein leichtes Spiel: Sie werden von sunnitischen Stämmen unterstützt, die noch Rechnungen mit der schiitisch geprägten Regierung von Nouri al-Maliki offen hatten. Nun gibt es eine neue Regierung. Ob das reichen wird, die Sunnitenstämme aus der Allianz mit dem IS herauszubrechen, muss sich erst zeigen. Anders wird es aber nur schwer möglich werden, den IS im Irak zu zerschlagen.

Die dritte ungelöste Frage ist die Kurdenfrage. Die kurdische Regionalregierung im Irak ist eine wichtige Verbündete des Westens. Aber auch die türkisch-kurdische Untergrundorganisation PKK und ihre Schwesterpartei in Syrien haben gezeigt, eine entscheidende Kraft im Kampf gegen den IS zu sein – zum Unmut der türkischen Regierung, der die PKK nach wie vor suspekt ist. Trotzdem dürfen Syriens Kurden nicht ihrem Schicksal überlassen werden. Die USA müssen ihre Angriffe auf die IS-Einheiten ausdehnen, die die Stadt Kobane bedrohen und soeben 130.000 Menschen in die Flucht geschlagen haben. Und die Verhandlungen Ankaras mit der PKK müssen zu Ende geführt werden.

Die Bomben der USA gegen den IS in Syrien sind ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Extremisten. An der Lösung der großen politischen Fragen führt aber kein Weg vorbei.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2014)

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