Der Terror und das ADHS-Syndrom

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Die zivilisierte Welt sollte die Fehler aus dem ersten Krieg gegen den Terror nicht wiederholen und die Aufmerksamkeit auch nach der ersten hyperaktiven Phase hochhalten.

In der Kinderpsychiatrie subsumiert man ein solches Verhalten unter der Formel ADHS, der Abkürzung für ein sperriges Wortmonster namens Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung. Unter diesem Syndrom leiden offenbar jedoch auch Erwachsene im politischen und medialen Bereich. Zwei Jahre lang interessierte sich fast niemand dafür, was im Bürgerkrieg in Syrien geschah. Die Behörden wussten, dass in den Hohlräumen des scheiternden Staates radikale Gruppen wie die al-Nusra-Front, der im grassierenden Extremistenirrsinn mittlerweile schon gemäßigt geltende Ableger des Old-Boys-Terrornetzwerks al-Qaida, und eine noch wahnwitzigere Abspaltung namens Isil hunderte Jihadisten aus allen Himmelsrichtungen anzog. Doch die Behörden taten nichts, denn Syrien war weit weg. Erst als Isil aus dem syrischen Käfig ausbrach, innerhalb kürzester Zeit weite Teile des Irak eroberte, großspurig ein Kalifat ausrief und sich in Islamischer Staat (IS) umbenannte, wurde man auch in einigen Staatskanzleien außerhalb Bagdads nervös. Und als die Terroristen anfingen, westliche Geiseln zu köpfen und religiöse Minderheiten abzuschlachten, war Zuschauen endgültig keine Option mehr.

Hektisch formierte sich die Weltgemeinschaft, die USA bildeten eine Anti-IS-Allianz auf mehreren Ebenen, eine militärische, die fünf arabische Staaten sowie Großbritannien, Frankreich, Belgien und Australien einschließt, zudem eine politisch-polizeiliche Allianz, bei der auch Österreich mitmacht. Die UNO hat sich als globale Plattform bewährt. Das war möglich, weil es einen gemeinsamen Feind gibt: die Milizen des IS.

Ein neuer Krieg gegen den Terror rollt über den Globus. Und es wäre wünschenswert, wenn die zivilisierte Welt die Fehler der ersten Welle nicht wiederholte. Deshalb die Bitte an Staat- und Regierungschefs: Macht den Kampf gegen den Terror nicht zum Leitmotiv eurer Außenpolitik. Lasst nicht zu, dass die Welt wieder holzschnittartig in Schwarz und Weiß eingeteilt wird. Auch wenn Israel Hamas und IS in einen Topf werfen will. Es bestehen Abstufungen des totalitären Wahnsinns. Nicht jeder Islamist entwickelt gleich die unstillbare Neigung, Köpfe abzuschneiden.

Gewährt menschenverachtenden Regimes keinen Persilschein und keine Trittbrettfahrt im Kampf gegen den Terror. Schränkt Bürger- und Freiheitsrechte nicht bedenkenlos im Kampf gegen die radikalen Irren ein, denn: Wenn wir unsere Freiheit zu sehr einschränken, haben sie einen Sieg errungen. Alarmiert dennoch die Sicherheitskräfte: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Radikale in Europa einen Anschlag verüben, möglicherweise eine öffentliche Enthauptung, wie sie in Sidney geplant war. Lasst nicht zu, dass danach gegen Muslime gehetzt wird. Letztlich muss die freie Welt angesichts der Herausforderung durch ein paar tausend fehlgeleitete Islamofaschisten selbstsicher bleiben und die Relationen wahren.


Propaganda. Gebt dem IS nicht so viel Propagandafläche. So notwendig eine internationale Reaktion auf die Terrorgruppe ist: Symbolisch haben sie Barack Obama und Co. auf Augenhöhe gehoben – das wird den Radikalen neue Anhänger bringen, der IS ist jetzt im hintersten Winkel der Welt bekannt. Bedenkt bei den Luftangriffen, dass jeder Fehlschuss auf Zivilisten den IS propagandistisch stärken wird. Und bitte haltet auch nach der ersten hyperaktiven Phase das Aufmerksamkeitslevel hoch. Sonst wiederholt sich die Geschichte des Irak ein zweites Mal, als die Amerikaner nach ihrem Feldzug gegen Saddam Hussein ein Vakuum hinterließen, eine ethnisch-religiöse Polarisierung zuließen, dann ihre Truppen abzogen. Und eine irakische Armee verblieb, die nach einer Dekade Aufbauarbeit beim ersten IS-Ansturm auseinanderbrach wie Schaumgebäck. Und stabilisiert bitte jetzt schon die Staaten, deren Zusammenbruch absehbar ist: den Libanon und Jordanien. Noch mehr ADHS kann die Welt nämlich nicht gebrauchen.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2014)

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