Das KP-Regime befürchtet, dass die Proteste auf das Festland überschwappen könnten. Doch die harsche Reaktion könnte sich als Schuss ins Knie erweisen.
Demonstranten, die sich mit bunten Regenschirmen gegen Schlagstöcke, Pfefferspray- und Tränengas wehren – diese Bilder sind zum Symbol der Hongkonger Freiheitsproteste geworden. Und sie sind stark: Sie zeigen, wie zehntausende Menschen dem mächtigen Peking trotzig die Stirn bieten. Doch genau diese David/Goliath-Symbolik macht hochrangige Funktionäre in Peking nervös. Denn die bunten Schirme inmitten der von Tränengas eingehüllten Nobelboutiquen wecken Erinnerungen an das Trauma Nummer eins des KP-Regimes: an die Panzer auf dem Platz des Pekinger Himmlischen Friedens im Jahr 1989.
Es ist daher kein Zufall, dass man diese Aufnahmen in Festland-China kaum mehr zu sehen bekommt. Offenbar hat das Regime den Facebook-Fotodienst Instagram blockiert – ebenso wie sämtliche Berichte über die am Sonntag gewaltsam niedergeschlagenen Pro-Demokratie-Proteste in der Finanzmetropole.
Die KP-Regierung muss sich derzeit ohnehin mit ökologisch, sozial und ethnisch motivierten Unruhen plagen. Ganz abgesehen von der Unzufriedenheit wegen Korruption, Nepotismus und interner Machtkämpfe. Eine Pro-Demokratie-Bewegung, die die Herrschaft „korrupter Kader“ anprangert und schnell auf die reichen Metropolen des Festlands überschwappen könnte, kann und will sich die Zentralregierung nicht leisten.
Peking hat deshalb offenbar beschlossen, in der Hongkong-Krise den harten Kurs zu fahren – und dem Image des rüpelhaften Goliath gerecht zu werden: Erst hat das KP-Regime klargemacht, dass die großspurig versprochene „demokratische Wahl“ des Hongkonger Regierungschefs im Jahr 2017 nur nach kommunistischer Logik „frei“ sein wird – die Kandidaten werden de facto in Peking ausgesucht. Und dann hat die Regierung signalisiert, dass sie für die Protestbewegung nur eine geringe Toleranzgrenze hat: Derzeit ist „nur“ die Hongkonger Polizei eingeschritten. Doch es halten sich Gerüchte, dass Teile des Regimes eine Entsendung von Sicherheitskräften nicht ausschließen.
Hongkong ist und bleibt eine chinesische Stadt, lautet die unmissverständliche Botschaft aus Peking. Die Finanzmetropole genieße demnach gerade so viele Sonderrechte und Demokratie, wie Peking zu gewähren bereit ist. Den Sympathisanten der Hongkong-Demokraten auf dem Festland macht die KP nochmals klar, dass ihre Nachsicht in puncto Demokratiebewegung gleich null ist.
Doch genau diese von Panik und Unsicherheit gesteuerte Reaktion könnte sich als Schuss ins Knie erweisen. Erstens, weil sich die Regierung damit in Hongkong neue Feinde für die nächsten Jahrzehnte schafft. Es sind vor allem junge Menschen, die auf die Straße gehen: Sie fordern nicht nur Demokratie, sondern protestieren auch gegen Korruption und Misswirtschaft der von Peking gesteuerten „Regierung“ und gegen die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich. Zweitens, weil Pekings Härte Wind in den Segeln der radikalen Occupy-Central-Bewegung ist: Im Sommer noch wurde diese laut Umfragen nur von einer Minderheit der Hongkonger unterstützt, die Mehrheit der pragmatischen Einwohner befürwortete eine Kompromisslösung. Einen Wendepunkt dürfte das brutale Vorgehen am Sonntag markiert haben: Nach dem Motto „Ich kann nicht zusehen, wie Hongkong stirbt“ unterstützen nun auch moderate Gruppen und Einwohner die Demos.
Drittens dürfte es kaum im Interesse Chinas sein, die Stabilität des internationalen Finanzstandorts Hongkong zu gefährden. Ganz abgesehen davon, dass Peking inmitten einer heiklen Phase der Beziehung zu Taiwan gerade beweist, wie verlogen das vom Festland propagierte Model „Ein Staat, zwei Systeme“ ist.
Dabei hätte das Hongkonger Demokratie-Experiment durchaus eine Chance bieten können – auch für Peking: Die Zulassung regimekritischer Kandidaten hätte als Labor für den Versuch „Politische Öffnung“ dienen können. Doch dafür wäre in Peking ein selbstbewusstes Regime notwendig gewesen, das sich seiner Effizienz und Fähigkeiten bewusst ist. Das ist offensichtlich nicht der Fall.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2014)