So wollen wir nicht reformiert werden!

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Schule(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Von der Deutschmatura ohne Literatur bis zum flächendeckenden Projektunterricht: Es läuft gerade etwas schief in den Schulen. Zeit, sich dagegen zu wehren.

Nennen wir sie Fortschritts- oder Reformexperten. Egal, ob Gebrauchsanweisungen als Maturaaufgabe, Kompetenzorientierung statt des Erlernens von Wissen als Bildungsziel oder – vor ein, zwei Jahren – Sexualunterricht für Volksschulkinder mit Schwerpunkt Transgender zwecks Einzugs der Moderne: Das alles sei „State of the Art“, erklären uns die Experten. So verändere sich eben die Welt. Wer da nicht mitkommt, habe ein Problem, sei engstirnig und – bei wirklich gerunzelter Stirn des Zweiflers – ein Reaktionär.

Doch Zweifel sind angebracht. Während sich die Politik noch immer über Namen und Struktur neuer Schultypen streitet, beziehungsweise – das ist schon positiv – den Grabenkampf aufschiebt, wird die Bildungsvermittlung selbst radikal verändert. Und das wäre fast ohne große Diskussionen passiert. Doch nicht das Lehrerdienstrecht bereitet Kinder und Jugendliche auf das Leben vor, sondern die Lehrer und ihre Unterrichtsmethoden. An zwei Stellen bricht die Diskussion darüber gerade auf. Mit der – an sich schlau klingenden – Einführung einer Zentralmatura sollen nun also weite Teile des klassischen Literaturkanons beim Abschluss der höheren Schule keine Rolle mehr spielen. Warum das so ist? Das bringt uns eben die viel zitierte Kompetenzorientierung. Das funktioniert wie folgt: Die Kandidaten sollen zwischen drei Aufgabenpaketen wählen, die unter einem Thema wie „Gesundheit“ oder „Liebe“ stehen.

Nur eines der drei „Pakete“ bei der Deutschmatura muss auch eine literarische Aufgabenstellung beinhalten, Herkunft einer Textpassage, der Zusammenhang oder die Epoche sind dabei völlig irrelevant, da die literarischen Texte nur als assoziativer Anstoß dienen. Möglich also etwa als Empfehlung des literarischen Textes an Personen, die einen praktischen beruflichen Nutzen daraus ziehen sollen, wie es Rosa Schmidt-Vierthaler und Julia Neuhauser aus dem „Presse“-Bildungsressort diese Woche formuliert haben. Die Maturanten müssen in einer dieser Textsorten schreiben: offener Brief, Empfehlung, Leserbrief, Kommentar, Textanalyse, Erörterung, Meinungsrede und Textinterpretation. Letzteres betrifft aber nicht die literarische Vertiefung oder Analyse, da die vereinheitlichte Beurteilung nicht möglich wäre. In Zukunft wird also keine klassische Literatur gelesen und – jetzt wird es böse, liebe Reformer – gelernt werden müssen.


Wut-Posting-Kurs? Spätestens an dieser Stelle müssen wir die Sinnhaftigkeit der Zentralmatura noch einmal hinterfragen. Eine derart absurde Deutschmatura hätte ich als Schüler schlicht verweigert – und ich will auch nicht, dass meine Kinder sie so absolvieren müssen. Warum nicht gleich zum AMS-Kurs mit professionellem Bewerbungsschreiben oder zum Wut-Posting-Kurs umwandeln? Anders formuliert: Während Schüler in den AHS noch immer nicht in die Grundlage von Wirtschaftslehre eingeführt werden, da dies offenbar zu lebensnah wäre, soll im Gegenzug auch noch die humanistische Bildung gekürzt werden? So nicht!

An derselben Front, aber an einem anderen Abschnitt kämpft nun zum Glück Philosoph Konrad Paul Liessmann: Er kreidet den Reformeifer in der Aufgabe des klassischen Unterrichts und der Wissensvermittlung an – von den Modernisierern gern als Frontalunterricht verunglimpft. Die Idee, jeder könne Wissen ohnehin immer googeln, ist schlicht falsch. Wer kein Fundament an Bildung hat, kann nie oben einsteigen. Oder wie es Liessmann besser formuliert: „Wer will, dass die Menschen dumm bleiben, suggeriert ihnen, dass sie ohnehin alles wissen können. Wissen hat immer mit Verstehen zu tun. Es ist nach wie vor eine zentrale Aufgabe von Schule, Wissen in diesem Sinn zu vermitteln. Es ist eine bildungspolitische Bankrotterklärung, wenn man sich davor drückt.“

Verzichten die Lehrer darauf, „Stoff“ zu lehren und abzuprüfen, werden wir ein echtes Problem bekommen. Und eine „Generation Google“.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2014)

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