Aus der Luft allein ist noch nie ein Krieg gewonnen worden

An Islamic State fighter walks near a black flag belonging to the Islamic State as a Turkish army vehicle takes position near the Syrian town of Kobani, as pictured from the Turkish-Syrian border near Suruc
An Islamic State fighter walks near a black flag belonging to the Islamic State as a Turkish army vehicle takes position near the Syrian town of Kobani, as pictured from the Turkish-Syrian border near Suruc(c) REUTERS (UMIT BEKTAS)
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Die Luftangriffe auf die Terrormiliz IS haben anscheinend nur mäßigen Effekt. Aber Kriege werden – militärisch – stets nur durch Bodentruppen gewonnen.

Seit zwei Monaten sieht die Mehrheit der Weltbevölkerung, für die die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein intolerables Gräuel ist, einem Phänomen ungläubig zu: Schwer bewaffnete Jets der USA und anderer Länder fliegen über den weitgehend deckungslosen Ebenen und Hügeln des Nordirak und Syriens gegen die Fanatiker – doch die scheint das kaltzulassen. Ja, im Irak dürfte der Vormarsch gestoppt sein, doch wurde kaum Boden gewonnen. Dafür überrannten die Kopfabschneider Nordsyrien und stehen vor der Einnahme der Kurdenstadt Kobane. Wie kann das sein, trotz des Hagels an lasergesteuerten Bomben und Raketen aus sündteuren Jets?

Für Antworten muss man über eine operative, eine taktische und eine fundamentale Ebene gehen. Zunächst kann im Operationsgebiet von „Hagel“ keine Rede sein: Das „Kalifat“ des IS ähnelt einem Dreieck mit rechtem Winkel bei Mosul und Kathetenlängen von 600km in westöstlicher und 300km in Nordsüdrichtung. Das sind 90.000km2, größer als Österreich, in diesem großen Raum gab es (Stand: Anfang Oktober) nur etwa 320 Luftangriffe, ein Drittel davon in Syrien, und auf einen Feind, dessen 20.000 bis 30.000 Mann (laut einigen Quellen 80.000) sich darin verteilen. Bei Kobane gab es an einigen Tagen nur ein bis drei Einsätze, manchmal keinen. Das ist insgesamt eher ein Tröpfeln.

Problematisch sind die weiten Anflugwege, etwa aus Saudiarabien, von Trägern im Golf oder Zypern aus, das macht oft Luftbetankung nötig und senkt die Einsatzzahl. Und die Türkei hat, anders als zugesagt, ihre Basis Incirlik bei Adana noch nicht wirklich für solche Einsätze geöffnet: Von dort ist Kobane nur 260 km entfernt.

Ein taktisches Hauptproblem ist die Identifizierung der Ziele: Die Bomber agieren meist von vielen Kilometern Höhe aus, schon aus Schutz vor Flak, das erschwert selbst mit moderner Optik das Unterscheiden etwa zwischen einem Lkw der IS und einem anderen Lkw. Zumal die Islamisten gelernt haben: Sie fahren nicht mehr in größeren Konvois, sondern in einzelnen Wagen, meist bei Nacht; sie bauten viele Checkpoints ab, tragen keine Uniformen, graben sich ein, meiden Konzentrationen – und Handys, ihre Signale sind ortbar. Sie vermengen sich mit der Bevölkerung, sind Meister im Tarnen und Täuschen. Und Flächenbombardements oder der Einsatz richtig „großer“ Bomben gegen IS-beherrschte Orte wie Raqqa sind ob der zivilen Opfer, anders als im Zweiten Weltkrieg, nicht durchsetzbar.


Überhaupt hat die Geschichte des Luftkriegs, die 1911 mit italienischen Attacken in Libyen begann, Theorien, ein Krieg sei allein aus der Luft zu gewinnen, widerlegt. Solche hatten frühe Luftkriegstheoretiker wie der italienische General Giulio Douhet (1869–1930) in den 1910er-, 1920er-Jahren entwickelt. Demnach könne man mit Bomberflotten die Städte und Industrien des Feindes zerstören und sein Volk zermürben, sodass er aufgeben müsse. Heere, ja Flotten wären unnötig, der Herr der Lüfte wäre auch Herr von Land und See. Im II. Weltkrieg indes konnten die Deutschen die Briten nicht gefügig bomben, dann Briten und Amerikaner nicht die Deutschen: 1942 fielen gut 8000 Tonnen Bomben auf Deutschland, 1944 fast 900.000, Städte sanken in Trümmer, Hunderttausende starben – dennoch war die deutsche Produktion an Panzern und Flugzeugen 1944 auf dem Höhepunkt. Japan gab erst auf, als es umzingelt und von Atombomben getroffen war. Vietnam trotzte allen Bombenteppichen.

Noch nie wurde ein Krieg allein aus der Luft gewonnen (Jugoslawien gab bei der Nato-Intervention 1999 wegen des Kosovos nur auf, weil sich eine politische Lösung auftat). Bei Krieg geht es im Urgrund stets um die effektiveBeherrschung von Raum. An Land ist das nur mit Bodentruppen, namentlich Infanterie, erzwingbar, Infanterie ist Kern jeder militärischen Fort- und Umsetzung der Politik. Kanonen, Panzer und Jets können den Feind schwächen, demoralisieren, seine Linien brechen. Doch dann müssen Soldaten mit Gewehren den Raum und seine Infrastruktur besetzen. Wenn das unterbleibt, geht jeder zuvor erzielte Vorteil wieder verloren – und auch eine politische Lösung rückt wieder in die Ferne.

Eine politische Lösung mit dem IS ist kaum vorstellbar. Man wird um eine Intervention zu Land nicht herumkommen.

E-Mails an: wolfgang.greber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2014)

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