Sie bewegt sich – vielleicht später

EIZELLE UNTER MIKROSKOP
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Familie im Jahr 2014: Während die Bischofssynode im Vatikan vorerst ohne große Sensationen zu Ende geht, diskutiert man in den USA ein eiskaltes Kinderkonzept.

Ist es ein römischer Frühling – oder bloß ein herbstlicher Föhn? Viele haben voreilig gehofft, dass die Bischofssynode eine Kursänderung bei den Themen Familie, Scheidung und Homosexualität bringt. Von einem Coup des Reformpapstes war die Rede. Doch: Die offiziellen Neuigkeiten lassen vorerst auf sich warten. Der Himmel zeigt sich, um in der Wetterdiktion zu bleiben, unentschlossen.

Die Hoffnungen konzentrieren sich daher derzeit auf einzelne Wortmeldungen im Vorfeld: Nämlich etwa, dass man homosexuelle Verbindungen respektieren müsse (auch wenn man sie nicht gutheiße) oder dass Wiederverheiratete die Kommunion erhalten könnten – wenn auch nur als Ausnahme. Aussagen wie diese wurden vergangene Woche als Quantensprung bejubelt. Ein passender Begriff. Denn ein Quantensprung ist ein doppelgesichtiges Wort. Gemeinhin meint es einen großen Umbruch, in der Physik bezeichnet es aber nur eine winzige Veränderung. So waren denn auch für viele Alltagskatholiken die nun offenbar wieder abgesagten Sensationen ohnehin Selbstverständlichkeiten, die sie laut Umfragen schon lang fordern und deren Erfüllung ihnen wohl auch nicht genügt hätte. Denn egal, ob es um Homosexualität oder Scheidung geht: Viele halten dies, vor allem wenn es die eigenen Lebensumstände betrifft, eben einfach gar nicht für falsch. Reicht aber dem, der nach Anerkennung strebt, Milde? Ist ein bisschen „willkommener“ dasselbe wie schlicht „willkommen“? Vermutlich nicht.

Und vermutlich spielt das für gar nicht so wenige Katholiken auch gar keine so große Rolle mehr: Sie haben sich ihren Glauben ohnehin maßgeschneidert, sie glauben, was sie wollen, und lassen alles andere weg. Insofern wäre es vor allem für die Kirche eine gute Nachricht, würde sie auf jene zugehen, die mit ihr ringen. Denen ist sie nämlich oft wichtig. Auch ein Einlassen auf das Heute wäre vor allem für die Kirche selbst gut. Denn wenn sie sich selbst ernst nimmt, muss sie im Hier und Jetzt sein, und wenn sie am gesellschaftspolitischen Diskurs teilnehmen will, wird sie künftig so argumentieren müssen, dass auch eine moderne, sprich zunehmend pluralistische Gesellschaft sie versteht.

Calvinistische Dekadenz. Wie weit die Debatte über Familie inzwischen aufgefächert ist, zeigt nämlich eine Nachricht aus dem Silicon Valley. Facebook und Apple haben mit ihrem Vorstoß, Mitarbeiterinnen das Einfrieren von Eizellen zu bezahlen, eine Kontroverse ausgelöst. Die einen loben die Idee, dass Frauen in jungen Jahren ihre Eizellen für später einfrieren lassen, als ähnlich praktisch wie einst die Pille und als logisches Angebot an die älter werdenden Mütter. Für die anderen symbolisiert das „Social Egg Freezing“ den Triumph der Wirtschaft und Karriere über das Familienleben. „Calvinistische Dekadenz“ nennt das „Die Zeit“. Ein schöner Begriff – aber stimmt er auch?

Ja und nein. Es kommt nämlich darauf an, wie man die Option des „Social Egg Freezing“ nutzen würde (wobei sich für Österreicherinnen die Frage nicht stellt, weil hierzulande die eigenen Eizellen nur aus medizinischen Gründen – z. B. wenn eine Chemotherapie bevorsteht – eingefroren werden dürfen). Die Gretchenfrage lautet, ob aus dem Können des Einzelnen ein Müssen für alle abgeleitet wird. Sprich: Führt die Möglichkeit, eine Schwangerschaft zu verschieben dazu, dass der Chef das erwartet? Wird das „Später“ zur bequemen Ausrede für den Staat, der zu wenig Betreuungsangebot schafft und für Väter, die „jetzt lieber nicht“ in Karenz gehen? Würde der medizinische Fortschritt bessere Vorschläge zur Entzerrung der Rushhour des Lebens zwischen Mitte 20 und 40 verhindern? Und wann wäre dieses Später eigentlich genau?

Von den konkreten Antworten hängt es aber ab, wie der tiefgekühlte Kinderwunsch zu bewerten ist. Das Dumme ist nur: Man kennt die Antworten vorher nicht so genau. Wer es wissen will, muss einen ersten Schritt wagen. Das lässt sich nicht ändern – weder im Silicon Valley noch in Rom.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2014)

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