Sacharbeit war nie, Wahlkampf immer

Die gescheiterte Große Koalition hat weder kleine noch große Vorhaben gut erledigt. Dauerkrach zerstörte alles.

Es ging schon lange nichts mehr, in dieser Großen Koalition. Und nirgendwo wurde das so anschaulich vorgeführt, wie bei der am Sonntag endgültig gescheiterten Gesundheitsreform – ein Lehrbeispiel verfehlter Politik, die keinerlei Gestaltungswillen hat. In der bösen Vorahnung, dass die Regierung hier nichts zusammenbringen würde, hat die Koalition diese Reform an die Sozialpartner outgesourct. Weil man von den für die Spitäler zuständigen Ländern keinen Sparwillen erwartete, wurde dieses Kapitel gleich zur Gänze ausgeklammert. Was natürlich vollkommen absurd war.

Als das Paket dann vorlag – Sparen bei Ärzten, Geld für Kassen –, behauptete die Gesundheitsministerin schließlich, dass das 1:1 übernommen werde (ein Eingeständnis der eigenen Überflüssigkeit). Natürlich wurde Andrea Kdolsky eines Besseren belehrt. Denn jetzt begann der Kampf der Bünde in der ÖVP: ÖAAB gegen Wirtschaftsbund, auch in der Gewerkschaft regte sich Widerstand. Und die Lobbypolitik siegte: Von den die Ärzte betreffenden Reformen war schon letzte Woche so gut wie nichts mehr übrig – auch wenn die Ärztekammer für gestern skurrilerweise noch einen Streik ausgerufen hatte. Der mächtige schwarze Arbeitnehmervertreter Fritz Neugebauer gab dem Reförmchen dann den Rest. Jetzt schauen alle durch die Finger – die Kassen, die man demnächst in Konkurs schicken müsste. Das kann auch Folgen für die Patienten haben. Das ist nicht nur ein Fanal der Großen Koalition, es ist auch eines der Sozialpartner und der Bündekonstruktion der ÖVP. So funktioniert Politik einfach nicht (mehr).

Die „großen Projekte“, die so eine Koalition legitimiert hätte – etwa eine Verfassungsreform –, erwartete ohnehin niemand mehr. Aber es funktionierte ja nicht einmal bei den kleinen, etwa dem Familienrecht. Wenn es dann doch einmal einen Durchbruch gab – etwa beim Inflationspaket –, wurde das kaputt geredet, speziell von der SPÖ, die sich von der ÖVP ständig an die Wand gequetscht fühlte.

Im verzweifelten Bestreben der Sozialdemokraten nach einem „kantigeren Profil“ war kein Platz mehr für vernünftige Politik, Stichwort „Pensionsautomatik“. Es ist ja vollkommen logisch, dass steigende Lebenserwartung (und damit einhergehende höhere Pensionsauszahlungen) Konsequenzen haben muss – bei den Beiträgen, bei der Pensionshöhe und beim Pensionsantrittsalter. An allen Schrauben sollte später einmal gleichmäßig gedreht werden – so lautete die „Automatik“, von der SPÖ propagandistisch als „seelenloser Computerknopf“ dargestellt. Die Notwendigkeit von Anpassungen zu leugnen ist Populismus der dümmsten Sorte. Aber Pensionslügen haben der SPÖ schon öfters Wahlerfolge gebracht. Und Wahlkampf herrschte in dieser Regierung immer. Die ruhige Ebene der Sacharbeit wurde leider nie erreicht.

Zuletzt „opferte“ die SPÖ nicht nur Alfred Gusenbauer, sondern eines der ganz wenigen, wenn nicht das einzige Thema, wo Einigkeit bei den Koalitionspartnern herrschte: die EU-Politik. Betrachtet man die Aktion rein handwerklich, so war der schwerste Fehler, dies als Brief an den Herausgeber der „Kronen Zeitung“ zu veröffentlichen. Damit diskutierte man über die Stilfrage viel mehr als über den Inhalt. „Die Krone ist Kanzler“, dieses spöttische Zitat des Grünen Johannes Voggenhuber wird wohl noch eine Zeitlang am neuen SPÖ-Spitzenkandidaten Werner Faymann „picken bleiben“.

Der Dauerkrach hat beide Koalitionspartner hinuntergezogen. Das Volk ist politikverdrossen, außer Heinz-Christian Strache kann niemand einen strahlenden Sieg erwarten.

Derzeit liegt die ÖVP aber deutlicher als sonst vor der SPÖ. Es werden wohl diese Umfragewerte gewesen sein, die Wilhelm Molterer ermutigten, einen Schlussstrich zu ziehen. Denn die populären Themen hat die ÖVP nicht für sich gepachtet, und sie nimmt in Kauf, „schuld“ an Neuwahlen zu sein. Andererseits ist die SPÖ in einem so waidwunden Zustand, dass ihr kein großer Sieg zugetraut werden kann.

Die ÖVP wird nun auf staatstragende Verantwortung und Stabilität setzen, die SPÖ auf „Politik mit Herz“. Der „kleine Mann“ geht wieder um.

Es wäre aber schlecht, wenn die Parteien über den Wahlkampf das „Danach“ vergessen. Die neue Regierung hat viel zu tun – auch wenn das im schlimmsten Fall wieder eine Große Koalition ist. Irgendwann wäre trotz aller Gegensätze wieder Sacharbeit statt Wahlkampf angesagt.

Neuwahlen Seiten 1–10

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2008)

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