Zu Gast bei den Ayatollahs

Wie Jimmy Carter eine symbolische Schlüsselrolle in der Normalisierung der Beziehungen zum Iran spielen könnte.

Ein schöner Traum:

Der 4. November 2009 ist der schönste Tag im Leben des früheren amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter – gut, der zweitschönste nach dem Tag, an dem er seine Frau Rosalynn geheiratet hat.

Der Friedensnobelpreisträger war nach Teheran aufgebrochen, um den dunkelsten Fleck seiner Präsidentschaft auszumerzen und ein neues Kapitel in den US-iranischen Beziehungen zu eröffnen. Genau vor 30 Jahren, am 4. November 1979, stürmte eine Gruppe von radikalen Studenten die US-Botschaft in Teheran, um gegen die medizinische Behandlung des Schahs zu protestieren. Aus dem ursprünglichen Plan einer dreitägigen Botschaftsbesetzung wurde eine Geiselkrise, die 444 Tage andauerte und Jimmy Carters politische Karriere zerstörte.

Nun steht er auf dem Rasen des Botschaftsgartens neben Massumeh Ebtekar, der damaligen Sprecherin der Studenten und früheren Vizepräsidentin unter Präsident Mohammed Khatami. Ebtekar hat sich in ihrer Rede bei den mitgereisten früheren Botschaftsangehörigen für die damaligen Erniedrigungen entschuldigt. Carter wiederum bat bei den Hinterbliebenen der 290 Opfer des Fluges „Iran Air 655“ um Verzeihung. Im Iran hat man den Abschuss der Zivilmaschine am 3. Juli 1988 durch das US-Kriegsschiff USS Vincennes nicht vergessen, die USA haben sich bis zu diesem Tag stets geweigert, Verantwortung für den Abschuss zu übernehmen. Jetzt, nach den klaren Worten Carters, sind alle zufrieden.

Die provokanten Pinseleien an der Botschaftsmauer und im Botschaftsgebäude waren vor Monaten übermalt worden, und seit das Konsulat Visa für Besuche in die USA ausstellt, stehen jeden Morgen hunderte Iraner Schlange vor dem Gebäude.

Nun ist also ein neues Kapitel in den iranisch-amerikanischen Beziehungen aufgeschlagen, die Botschaft ist wieder geöffnet, der Sternenbanner weht im Teheraner Wind. Carter – gleich nach der Inauguration am 20. Jänner 2009 von Präsident Barack Obama zum Iran-Sondergesandten ernannt – hat damit nach monatelanger Arbeit sein Ziel erreicht: eine Normalisierung der Beziehungen zum Iran.

Und dann läutete der Wecker.

Aus der Traum, wir schreiben den 17. Juli 2008. Doch die Kluft zwischen Fantasie und Realität ist gar nicht so unüberbrückbar, wie es scheint. Das iranische Atomprogramm ist sicherlich das größte Hindernis. Doch die kommenden Tage geben Anlass zur Hoffnung. Immerhin ist es den USA gelungen, Nordkorea – ein Land, das einen Nukleartest durchgeführt hat – zum Einlenken zu bewegen.

Washington und Teheran haben viele gemeinsame Interessen: Präsident George W. Bush hat die beiden Erzfeinde des Iran – die Taliban im Osten und Saddam Hussein im Westen – beseitigt und garantiert im Land mit der zweitgrößten schiitischen Bevölkerung nach dem Iran – dem Irak – Stabilität. Am 11. September 2001 jubelten in Teheran nicht die Massen, sondern junge Iraner entzündeten zum Gedenken an die Opfer Kerzen, der damalige Präsident Mohammed Khatami verdammte die Attentäter.

Den institutionalisierten Antizionismus der Ayatollahs kann Washington nicht tolerieren – aber Iran und Israel haben keine gemeinsame Grenze, der Judenstaat ist für Teheran der ferne Feind. Bei genauer Betrachtung kann der Iran aber seine Interessen nur berührt sehen, solange es um den Libanon – ein Land mit hohem schiitischen Bevölkerungsanteil – geht. Zieht Israel sich aus dem schmalen libanesischen Geländestreifen der Shebaa-Farmen zurück, gäbe es keinen Anlass mehr für Konflikte mit den libanesischen Schiiten. Da wäre der Streit um Land und Wasser mit den sunnitischen Nachbarn (Palästina, Syrien, Jordanien) schon handfester. Das Problem ist freilich: Antizionismus und Antiamerikanismus gehören zum ideologischen Werkzeugkasten der konservativen Mullahs. Deren Glaubensbekenntnis lautet: „Marg bar Amrika! Marg bar Esrail! – Tod Amerika, Tod Israel!“

Während die USA aus einer Normalisierung der Beziehungen zum Iran nur profitieren können, würde ein derartiger Richtungswechsel das Überleben des Regimes gefährden. Denn mit der Aufgabe der anti-amerikanischen Positionen fiele eine Säule der islamischen Revolution weg.

Wer jemals den Iran besucht hat, wird feststellen, dass der Antisemitismus in der Bevölkerung weniger verwurzelt ist als bei so manchem europäischen Durchschnittsbürger. Und bei vielen jungen Iranern stehen die USA hoch im Kurs. Jimmy Carter könnte sich auf einen euphorischen Empfang freuen.

Diplomatische Offensive der USA Seite 1

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2008)

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