Die Zeit ist reif für einen Umbruch

Wähler wenden sich von den etablierten Parteien ab. Echte Alternativen zu diesen gibt es aber noch nicht.

Verurteilte Politiker gab es in Österreich schon einige, ein amtierender Parteichef war aber noch nicht darunter. Die nicht rechtskräftige Verurteilung von BZÖ-Obmann Peter Westenthaler zu neun Monaten bedingter Haft wegen falscher Zeugenaussage markiert somit einen Wendepunkt. Den kann man negativ sehen: Als weiteren Tiefpunkt in der heimischen Innenpolitik, die sich nun schon im Gerichtssaal auf Bassena-Niveau abspielt. Oder positiv: Dass das ständige Spiel mit dem Tabubruch, der diese Partei auszeichnet und mit dem Westenthaler und Haider nunmehr schon seit Jahren Politik machen, nun endlich einmal rechtliche Konsequenzen nach sich zieht.

Eines ist das Urteil aber sicher nicht: „Politjustiz“ oder „Schandurteil“, wie das BZÖ nun in einem lächerlichen Ablenkungsmanöver glauben machen möchte. Peter Westenthaler ist von der Justiz ohnehin mit Samthandschuhen angefasst worden. Denn jener ominösen Prügelaktion des Westenthaler-Leibwächters in der Wahlnacht des 1. Oktober 2006 ist die Aufforderung des Parteichefs vorausgegangen: „Haut's die Arschlöcher auße“. Der Staatsanwalt sah es nicht als Anstiftung zur Körperverletzung, sondern als „alkohol- und milieubedingte Unmutsäußerung“. Eine Einschätzung, die wohl nicht alle Ankläger geteilt hätten.

Für Peter Westenthaler, dem noch ein weiteres Verfahren wegen angeblicher Körperverletzung drohen könnte, dürfte die politische Karriere damit wohl vorbei sein. Das BZÖ muss Schadensbegrenzung betreiben und mit einem unbelasteten Spitzenkandidaten zur Wahl antreten.


Schaden ist aber nicht nur für das BZÖ entstanden, sondern auch für das politische System in Österreich. Laut einer Umfrage der Sozialwissenschaftlichen Gesellschaft traut mehr als ein Drittel der Österreicher gar keiner Partei mehr. Ein Trend, der sich noch weiter verstärken dürfte. Die Unfähigkeit der Großen Koalition, die Probleme dieses Landes auch nur angehen zu wollen, der schlechte politische Stil, der zu erwartende Schmutzkübel-Wahlkampf und Politiker auf der Anklagebank – das ist das gefährliche Gemisch, das das politische System dieses Landes auszuhebeln droht.

Die Änderungen könnten dramatischer sein, als man sich das jetzt vorstellen kann. Auch Italien hatte einst Großparteien, die als unangreifbar galten und jetzt keine Rolle mehr spielen. Ein deutliches Zeichen dafür: Zwei Monate vor der Wahl sind laut Imas-Umfrage 40 Prozent der Wähler noch unentschlossen, wem sie diesmal ihre Stimme geben sollen. Die Unzufriedenheit mit der etablierten Politik ist greifbar.


Profiteure einer derartigen Entwicklung sind Populisten, die jetzt ihre Chance wittern. Nicht zufällig dürften diesmal so viele Parteien wie noch nie zur Wahl antreten. Vom schon scheintoten Liberalen Forum, das das Wunder einer Wiederauferstehung plant, über EU-Gegner bis zu bisher politisch nicht in Erscheinung getretenen Künstlern könnten alle möglichen Splittergruppen auf dem Wahlzettel zu finden sein.

Die größten Chancen dürfte der Tiroler ÖVP-Rebell Fritz Dinkhauser haben, der sich nun doch zu einem bundesweiten Antreten entschlossen hat. Er hat bei der Tiroler Landtagswahl mit 18 Prozent der Stimmen gerade einen beachtlichen Erfolg gefeiert, ist österreichweit bekannt und hat sich ein Image als Politrebell aufgebaut. Außerdem tritt er nicht in direkte Konkurrenz zu den Protestparteien FPÖ und BZÖ: Starke Sprüche in der Ausländerfrage sind ihm fremd, er ist damit eine echte Alternative für Protestwähler, die nicht am rechten Rand anstreifen möchten.

Trotzdem ist der Wahlerfolg für Dinkhauser noch lange nicht garantiert. Denn außer dem positiven Image in weiten Teilen der Öffentlichkeit fehlt derzeit noch so ziemlich alles, was man für einen Wahlerfolg benötigt. Weder sind die nötigen finanziellen Mittel für eine österreichweite Kampagne da, noch die Parteistrukturen. Von einem Programm ganz zu schweigen. Und wenn Dinkhauser seine Kandidaten aus jenem Reservoir akquiriert, das sich ihm jetzt selbst andient, kann man ihm nur viel Glück wünschen. Dann hat er die Obskuranten des Landes um sich versammelt.

Gut möglich also, dass sich bei dieser Nationalratswahl nochmals die etablierten Parteien durchsetzen werden. Aber es wird nur eine Atempause für das politische System. Oder eine letzte Chance, den Erosionsprozess doch noch aufzuhalten.

Rekord an unentschlossenen Wählern Seite 1
Dinkhauser nun auf Kandidatensuche Seite 2

Westenthaler-Prozess Seite 3

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2008)

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