Ein neues Terrormuster zeichnet sich ab: Einzeltäter verbreiten mit Willkürakten Schrecken. Sich davor zu fürchten wäre jedoch Zeitverschwendung.
Herr Abu Muhammad al-Adnani, der Sprecher der Wahnsinnigenvereinigung namens Islamischer Staat, war gegen Ende September so freundlich, eine Warnung auszusprechen. „Oh Amerika, oh Verbündete Amerikas, oh Kreuzfahrer“, sagte der radikale Nachwuchspoet, „wisst, dass die Angelegenheit gefährlicher ist, als ihr euch jemals vorgestellt habt.“ Und damit das Publikum weiß, was mit der geschwollenen Suada gemeint ist, schob er einen ziemlich konkreten Appell an seine extremistische Fangemeinde nach: „Wenn ihr einen ungläubigen Amerikaner oder Europäer töten könnt – insbesondere einen dieser gehässigen und dreckigen Franzosen – oder einen Australier, Kanadier oder irgendeinen anderen Bürger, dessen Staat sich der Koalition gegen den Islamischen Staat angeschlossen hat, dann tötet ihn, auf welche Weise auch immer.“ Möglicherweise haben bereits die ersten Irren dem Aufruf Folge geleistet.
Die Fälle häufen sich. Am Montag überfuhr ein kanadischer Islamist nahe Montreal zwei Soldaten mit dem Auto und tötete einen von ihnen, bevor er selbst erschossen wurde. Keine zwei Tage später marschierte in Ottawa ein Konvertit los, mähte einen Wachsoldaten nieder, ballerte mit seinem Gewehr im Parlament herum, bis ihn eine tödliche Kugel traf. Kaum 48 Stunden später hieb in New York ein Attentäter mit einer Axt auf Polizisten ein; auch er scheint einen islamistischen Hintergrund zu haben: Angeblich hinterließ der Mann mit dem Hackebeil in sozialen Medien Sympathiebekundungen für den IS.
All das kann eine Zusammenballung böser Zufälle sein. Plausibler erscheint jedoch, dass sich ein neues Terrormuster abzeichnet: Demnach verbreiten Einzeltäter mit willkürlichen unvorhersehbaren Gewalttaten Schrecken. Sie können überall zuschlagen, auf offener Straße, auf einem Parkplatz oder auch in einem schlecht geschützten Parlament. Und weil sie allein agieren, als „einsame Wölfe“, lassen sich ihre mörderischen Pläne auch nicht durchkreuzen. Keiner kann in ihre kranken Gehirne schauen. Gegen diese Form des Individualterrorismus ist kein Schutz möglich. Es kann jeden jederzeit treffen, theoretisch auch mitten in Wien. Doch die Wahrscheinlichkeit, einem dieser Ein-Mann-Terrorbetriebe zum Opfer zu fallen, ist im Vergleich zu fast allen anderen Unwägbarkeiten des Lebens verschwindend gering. Deshalb ist es letztlich auch Zeitverschwendung, sich ernsthaft davor zu fürchten, was wiederum eine durchaus elegante Haltung gegenüber den megalomanischen Minderwertigkeitskomplexlern des IS wäre – Ignoranz als Form der Strafe.
Gelassenheit als angemessener Umgang mit dem Terror. Das gilt in jedem Fall für die Bürger, aber auch für Behörden und Medien. Wer Panik verbreitet, wer hyperaktiv Placebo-Anlassgesetze verabschiedet, die bloß den Anschein von Sicherheit erwecken und nutzlos Freiheitsrechte einschränken, spielt den Extremisten in die Hände. Eine reale Gefahr stellen die wahrnehmungsgestörten IS-Brutalos vor allem für Kurden, Yeziden, Christen und Moslems in Syrien und im Irak dar. Der Terror, vor dem man sich in westlichen Gefilden fürchtet, ist damit nicht zu vergleichen. Das ist keine Empfehlung, die Gefahr auf die leichte Schulter zu nehmen oder den Kopf österreichisch in den Sand zu stecken. Aber man sollte sie richtig dimensionieren und in entsprechender Dosis darauf antworten.
Tröstliches zum Abschluss: So grässlich die Vorstellung auch sein mag, von einem dieser Einzeltäter unvermutet überfallen zu werden. Es handelt sich dabei eindeutig um eine primitive Schwundstufe des Terrorismus, die weit weniger Schaden als die raffinierten Komplotte der al-Qaida anrichten kann. Und eines ist auch klar: Über kurz oder lang werden die Jihadisten auf dem Misthaufen der Geschichte landen, denn ihr Gesellschaftsmodell ist weder attraktiv noch überlebensfähig.
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