Land des guten Durchschnitts

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Bundeskanzler Werner Faymann hat unabsichtlich ein echtes Problem Österreichs auf den Punkt gebracht: Wir wollen keine Musterschüler mehr sein.

Er wollte wohl in der beschaulichen Vornationalfeiertagszeit und weniger besinnlichen Vorparteitagszeit punkten. Kanzler Werner Faymann nahm nach einer längeren Phase des – sagen wir es diplomatisch – beruflichen oder politischen Antichambrierens in Brüssel eine altbekannte Pose ein: die des Widerstandskämpfers gegen EU-Budgetdiktat und Ungerechtigkeit. (Die Landeshauptleute machen das mit Wien schließlich genauso.) Bei einem Punkt mag der Kanzler durchaus recht haben: Wie harmlos-freundlich die EU-Kommission etwa bisher das finanzpolitische Laisser-faire in Paris begleitet hat, grenzt an Fahrlässigkeit. Allerdings hält sich da auch Faymann nobel zurück.

Aber Faymann fand bei seinen Klagen eine interessante Formulierung, die wohl unbeabsichtigt, aber treffend zum heutigen Nationalfeiertag passt. Also sprach der Kanzler: „Wir werden nicht die Vorzugsschüler sein, die immer versuchen, irgendetwas zu machen, von dem sie nicht überzeugt sind, sondern wir werden das tun, was ordentliche Schüler machen: ihren Standpunkt vertreten.“ Da klingt generelle Kritik an Maastricht und den Stabilitätsregeln durch. Faymann reiht sich auch in die Schule der modernen Pädagogik ein: nicht irgendwelche Regeln befolgen, sondern einmal ordentlich darüber diskutieren. (Das kennt er vielleicht aus seiner Uni- und Sozialistischen-Jugend-Zeit.) Aber eine Formulierung lässt viel tiefer blicken: „Wir wollen keine Vorzugsschüler sein!“ Da blitzt jenes leistungsfeindliche Denken durch, das dieser Tage so heftig von Wirtschaftsgrößen kritisiert wird, die auch in den USA oder China Arbeitsplätze zu vergeben haben. Dort will jeder Vorzugsschüler sein.

In Österreich hingegen werden zunehmend der brave Durchschnitt und die gute Leistungsmittelklasse propagiert. Das Wochenende beginnt möglichst früh, den Freitag nehmen wir wörtlich und überhaupt ist Life-Work-Balance schon bei den Kleinsten wichtig. Das soll nicht heißen, dass planwirtschaftlicher chinesischer Drill und 24-Stunden-Maloche die Antwort sein sollen. Aber ein bisschen mehr Ehrgeiz wäre durchaus hilfreich in einer Welt, die eben nicht als internationales Wohlfahrtsprojekt angelegt ist. Vom sachpolitischen Ehrgeiz des Kanzlers wollen wir an dieser Stelle schweigen.

Interessanterweise war das Musterschülerziel in rein sozialdemokratischen Zeiten stärker ausgeprägt als heute. Unter Bruno Kreisky lernte jedes Schulkind: Österreich ist stolz, (beinahe) das sicherste Land der Welt, (beinahe) das reichste Land der Welt und (beinahe) das Land mit den wenigsten Arbeitslosen zu sein. Was hören wir heute? Österreich ist ganz gut durch die Krise gekommen. Österreich steht wirtschaftlich besser da als jene, denen es wirklich schlecht geht. Österreich schlägt sich knapp besser als der Durchschnitt. Das ist aber zu wenig.

Wenn es so weitergeht, wird die Ära Faymann leider keine Fußnote in den österreichischen Geschichtsbüchern, sondern ein kurzes, aber ernstes Kapitel werden: über die Zeit, in der Zukunftschancen, Entscheidungen und Reformen verschoben, verdrängt oder verschlafen wurden. Die Nichtvorzugsschüler von morgen sollten heute schon wissen, wem sie das zu verdanken haben.


rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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