Nach der Krise ist vor der Krise

Ohne neue Energielieferanten wird die nächste Gaskrise Europa noch deutlich stärker treffen.

Ölpreisschock im Sommer, Gaskrise im Winter. Die vergangenen Monate haben gezeigt, wie verwundbar und abhängig Europa von Energieimporten ist. Beim Gas ist diese Verwundbarkeit besonders auffällig: So deckt die EU 40 Prozent ihres Bedarfs mit Erdgas aus sibirischen Feldern. Der überwiegende Teil davon fließt durch nur vier Pipelines über ukrainisches Territorium. Diesmal hat die Eskalation des alten Streits um Geld und die politische Entwicklung der Ukraine zwischen ebendieser und Russland dafür gesorgt, dass in einigen EU-Staaten die Heizungen kalt blieben und die Stromversorgung knapp wurde. Auch wenn sich diese Krise nicht wiederholen sollte – was höchst unwahrscheinlich ist –, könnten es beim nächsten Mal technische Defekte oder terroristische Anschläge sein, die einen neuerlichen Ausnahmezustand auslösten.

Politik und Bevölkerung dürfen daher auch nach dem Ende der Lieferausfälle nicht einfach zum Alltag zurückkehren. Wie kurz das Gedächtnis ist, sehen wir beim Öl, das sich wieder deutlich verbilligt hat, wodurch auch die Preise von Benzin und Diesel stark gesunken sind. Im gleichen Ausmaß geringer geworden sind auch die Ambitionen, den Verbrauch und die Abhängigkeit vom Ölkartell Opec zu verringern. Beim Gas sollte sich die Situation – trotz des tagelangen Katz-und-Maus-Spiels von Russland und der Ukraine – nun ebenfalls entschärfen. Wieder gut ist damit aber noch lange nichts.

Um das Damoklesschwert der gekappten Leitungen zu beseitigen, bedarf es als ersten Schritt einmal eines: mehr Leitungen. Wie die beiden Projekte „North Stream“ und „South Stream“, die Russland direkt über die Ostsee beziehungsweise den Balkan mit der EU verbinden sollen. Dadurch wird zwar die Verhandlungsposition der Ukraine und Weißrusslands gegenüber Moskau als einzige Transitländer geschwächt. Die EU-Bürger können dafür aber bei einem Streit nicht mehr so leicht in Geiselhaft genommen werden.

Zusätzlich bedarf es auch neuer Lieferanten, um nicht länger dem Gutdünken des Kreml ausgeliefert zu sein. Dass die Herren Putin und Medwedjew ihre zahlenden Kunden im Westen ohne mit der Wimper zu zucken in der Kälte stehen lassen, haben sie in den vergangenen Tagen ja hinreichend bewiesen. Weiteres blindes Vertrauen auf den „immer verlässlichen Lieferanten Russland“ ist nicht angebracht.

Eine Alternative wäre Flüssiggas. Dazu fehlt es allerdings an Verladestellen, an denen die Tanker ihr Gas ins Netz einspeisen können. Länder wie Spanien, Portugal oder Japan versorgen sich seit Jahren mit flüssigem Gas. Außerdem müssen Projekte wie die Pipeline Nabucco, die in die Region des Kaspischen Meeres führen soll, schnellstmöglich realisiert werden. Die Pipeline, die von Kritikern in regelmäßigen Abständen für tot erklärt wird, wäre ein entscheidender Faktor für eine größere Unabhängigkeit von Russland. Allerdings darf man sich keinen Illusionen über die neuen Lieferanten hingeben. So wird im Endeffekt auch der Iran als wichtiger Lieferant ins Spiel kommen. Bevor dies geschieht, muss sichergestellt sein, dass der Iran sein umstrittenes Atomprogramm beendet oder zumindest unter internationale Aufsicht gestellt hat. Dass Gaseuro den Bau einer Atombombe finanzieren, darf nicht geschehen.

Um nicht eine Abhängigkeit nur mit einer anderen zu tauschen, sollte auch die Nutzung der alternativen Energiequellen in Europa verstärkt werden. Das heißt nicht, dass allen, die sich ein grünes Mäntelchen umhängen, staatliche Subventionen hinterhergeworfen werden. Weitgehend ausgereifte Alternativen – wie Windräder in windigen Gebieten – sind aber sinnvoll. Bei Techniken mit einem hohen Zukunftspotenzial, wie der Solarenergie, muss genügend Geld für die Forschung lockergemacht werden. Zusätzlich muss der Ausbau der Wasserkraft und sogar der Zugang zur Kernkraft neu diskutiert werden. Die heimische Methode – Kernkraft bekämpfen und Atomstrom importieren – ist zwar fürs Kleinformat tauglich, aber keine seriöse Energiepolitik.

Am wichtigsten, weil am schnellsten wirksam, ist ein effizienterer Umgang mit der vorhandenen Energie. Helfen würden etwa forcierte Gebäudesanierungen und steuerliche Maßnahmen (Entlastung bei der Lohnsteuer, dafür höhere Energiesteuern). Wichtig ist, jetzt damit zu beginnen. Eine völlige Unabhängigkeit von Energieimporten ist für die EU zwar unrealistisch. Schocks wie die Gaskrise leichter zu verdauen wäre jedoch möglich.

Das Gas fließt Seiten 17 und 18

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2009)

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