Der Begriff Sterbehilfe muss neu buchstabiert werden

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Im Wiener Parlament beginnt in wenigen Tagen eine breit aufgestellte Enquetekommission. Thema: Würde am Lebensende. Spät, aber nicht zu spät.

Mehr Anstrengung für Palliativmedizin und Hospizausbau: Das Postulat des Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, ist gestern verbreitet worden. Die Worte Seiner Eminenz kommen nicht aus heiterem Himmel. Sie sind vor dem Hintergrund von Debatten über und Beschlüssen zur Sterbehilfe in mehreren europäischen Ländern zu verstehen. Auch in Deutschland. Auch in Österreich.

Mit identem Inhalt hat sich schon der österreichische Amtskollege von Marx, Kardinal Christoph Schönborn also, zu Wort gemeldet, oder Caritas-Präsident Michael Landau oder, als Vorsitzende des Dachverbands Hospiz naheliegend, Waltraud Klasnic. Auch von österreichischen Politikern ist Ähnliches überliefert.

Tatsächlich bedarf es keiner besonders smarten Datenanalyseverfahren, um zur Erkenntnis zu gelangen, dass das Angebot palliativmedizinischer Betreuung und von Hospizplätzen in Österreich ausbaufähig erscheint. Stark ausbaufähig. Ist es schon ein Mal erwähnt worden? Hans Jörg Schelling hat als Finanzminister den unmöglichsten Job zu erledigen, zumindest der Bundesregierung, wenn nicht der Republik. Denn selbstverständlich erfordert der Ausbau derartiger Einrichtungen finanzielle Mittel. Die, wir wissen es, fehlen.

Aber vielleicht erweist sich das Parlament einmal als Ort kreativer Ideen im Finden von Möglichkeiten, budgetäre Mittel an anderen Stellen loszueisen. Am Freitag startet jedenfalls jene Enquetekommission, die ihr Entstehen eigentlich einer koalitionären Verlegenheit verdankt. Im Nationalratswahlkampf des Vorjahres hat die ÖVP, wohl auch als Signal an ihre katholische Kernklientel, die Verankerung des Verbots von Sterbehilfe, also der Tötung auf Verlangen, in der Verfassung verlangt. In den späteren Koalitionsverhandlungen scheiterten SPÖ und ÖVP dabei, sich zu einigen. Falsch, es war anders: Sie einigten sich – auf einen klassischen Kompromiss, der das Thema vertagt, auf die Einsetzung einer Kommission. Jener Kommission, die mehr als ein Jahr nach Amtsantritt der Regierung ihre Arbeit aufnehmen wird.

Sie könnte (think positive!) die Geburtsstunde einer neuen, bisher in Österreich unbekannten Qualität der Diskussionen über die letzte Phase der letzten Phase des menschlichen Lebens sein. Denn längst scheint sich auch bei ÖVP-Politikern die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass einer Verankerung des Verbots von Sterbehilfe in der Verfassung wegen mangelnder Unterstützung im Nationalrat die Chance auf Umsetzung fehlt. Diese Tatsache muss niemanden beunruhigen. Es sei denn, man sieht Gründe, dem einfachen Strafrecht zu misstrauen, das das Verbot aktiver Sterbehilfe ohnedies normiert.

Wie auch immer: Tod und Sterben gelten als wahrscheinlich letzte Tabus der Gesellschaft. Höchste Zeit, über die „Würde am Ende des Lebens“, so der Titel der Kommission, nachzudenken. Vielleicht gelingt es, das vieldeutige Wort Sterbehilfe neu zu buchstabieren. Vielleicht auch, Sterbehilfe wörtlich zu nehmen, fernab jeder Erinnerung an den Begriff Euthanasie oder der Vermischung mit Suizidbeihilfe, im Sinn humaner, mitfühlender Hilfe beim Sterben, im Sinn von Begleitung beim Sterben zu verstehen. Die Hilfe zum Suizid, wie sie beispielsweise fraktionsübergreifend Mandatare des Berliner Bundestags Ärzten ermöglichen wollen, meint hingegen ja etwas ganz anderes. Der deutsche Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery lehnt dieses Ansinnen auch brüsk ab und sieht das Tor in Richtung aktiver Sterbehilfe geöffnet. Wie recht er doch hat.

Gerade an den Rändern entscheidet sich, wie human eine Gesellschaft ist. Und es steht viel auf dem Spiel. Allein dass die Gefahr nicht gänzlich auszuschließen ist, dass Alte, Kranke, Gebrechliche sich (von Angehörigen, Ärzten, Pflegern) unter ökonomischen und psychischen Druck gesetzt fühlen könnten, ihr Sterben beschleunigen zu lassen, lässt es dringend angeraten erscheinen, die Schranken geschlossen zu lassen. Die politischen Energien sollten stattdessen in die Qualität von Betreuungsmöglichkeiten für Sterbende investiert werden. Wenn sich in Österreich auf einem Gebiet schon etwas bewegt, müssen ja nicht ausgerechnet internationale Fehlentwicklungen nachvollzogen werden.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

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