Der Kampf der Giganten und seine Kollateralschäden

Der Ölpreisverfall wird noch länger andauern – und uns mit hoher Sicherheit politische Verwerfungen und möglicherweise eine Finanzkrise bescheren.

Was ist das, was wir momentan auf den internationalen Ölmärkten sehen? Eine Verschwörung Saudiarabiens und der USA, um die gemeinsamen Gegner Russland und Iran in die Knie zu zwingen? Oder ein Angriff der Saudis auf die ungeliebte Frackingkonkurrenz aus den USA – mit dem für beide angenehmen Nebeneffekt, dass dabei Ölländer wie Russland, der Iran oder Venezuela als Kollateralschäden auf der Strecke bleiben?

Mit Sicherheit lässt sich das jetzt nicht sagen. Es scheint aber wohl so zu sein, dass man nicht zu viel Weltpolitik hineininterpretieren sollte und eher Zweiteres zutrifft: Der Frackingboom hat die USA auf Augenhöhe mit den annähernd gleichauf liegenden weltgrößten Produzenten Russland und Saudiarabien gebracht. Im August dieses Jahres haben die Amerikaner erstmals mehr Rohöl produziert als die Saudis.

Da ist ein großer Konkurrent auf dem Weltmarkt entstanden. Schlimmer noch: Saudiarabien ist nach Kanada der zweitgrößte Ölexporteur in die USA. 500 Millionen Barrel sind im Vorjahr aus der arabischen Wüste in die Staaten geflossen. Und: Die Amerikaner haben ihre Öleinfuhren in den vergangenen vier Jahren insgesamt halbiert. Geht der Trend weiter, dann wird es bald auch die bisher noch weitgehend verschonten Saudis treffen. Das tut weh.

Es ist in diesem Umfeld also nicht unlogisch, dass sie ihre bisherige Rolle als preisstabilisierende Macht vergessen und versuchen, mit speziellen Rabatten für US-Abnehmer ihre Marktposition zu halten. Und gleichzeitig zu testen, wie tief der Rohölpreis sinken muss, um die amerikanische Frackingindustrie in Schwierigkeiten zu bringen oder aus dem Markt zu werfen.

Das wird ein durchaus spannendes Match: Saudiarabien produziert wie alle anderen Golfstaaten sehr billig. Um das hohe Ausgabenniveau zu halten, ist zwar ein nicht weit unter 100 Dollar pro Barrel liegender Ölpreis nötig, aber das Land hat, wie auch die übrigen Golfstaaten, sehr hohe Reserven, die es erlauben, Dumpingpreise recht lange durchzuhalten. Auf der anderen Seite haben die Technologieschübe beim Fracking auch diese bisher relativ teure Produktionsmethode vergleichsweise günstig gemacht. Die Amerikaner halten also wesentlich niedrigere Weltmarktpreise aus, als kolportiert wird.

Wenn dieses Szenario so zutrifft, dann können wir uns auf eine längere Periode tiefer beziehungsweise fallender Rohölpreise einstellen. Zumal der Preiskampf um die Vorherrschaft auf dem Weltrohölmarkt mit rezessiven Tendenzen in zwei der vier großen Wirtschaftsregionen (nämlich in Europa und Japan) zusammenfällt, was zusätzlichen Preisdruck erzeugt.


Ob wir uns darüber freuen sollen, ist freilich eine andere Frage. Sicher, niedrigere Energiepreise entlasten die Wirtschaft (besonders die energieintensive Industrie) und die Handelsbilanz. Und sie verbilligen für uns Treibstoffe, wenn auch nicht wirklich kräftig. Dafür sorgen schon preisunabhängige Mengensteuern wie die Mineralölsteuer, die einen nicht unbeträchtlichen Anteil am Benzinpreis einnimmt.

Auf der anderen Seite macht billiges Rohöl natürlich Alternativenergien noch ein Stück unrentabler und behindert damit die Energiewende. Vor allem aber trägt es zu globaler politischer Instabilität bei: Wenn Staaten wie Nigeria und Venezuela vor der Pleite stehen, wenn Machtzentren wie Russland vor Problemen stehen, dann ist das ein relativ hoher Preis. Und wenn die US-Frackingindustrie ins Trudeln kommt, dann droht uns sogar eine recht veritable Finanzkrise. Denn der Frackingboom ist in sehr hohem Ausmaß über Anleihen finanziert.

Man sieht, Rohöl ist trotz des permanenten Geredes von Peak Oil und Energiewende weiter ein wirtschaftlicher und politischer Faktor ersten Ranges. Macht der Preis zu starke Sprünge, egal, ob nach oben oder unten, dann sind Verwerfungen programmiert. Die kommende Opec-Sitzung in Wien, auf die viele so gespannt blicken, wird daran nichts ändern: In diesem Gigantenduell funktioniert mit Sicherheit kein Kartell. Dazu sind die Interessen der Mitglieder zu unterschiedlich.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2014)

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