Elf Jahre Anlaufzeit hätten für einen Iran-Atomdeal reichen müssen

Besser gar kein Abkommen als ein schlechtes, besser weiterverhandeln als eine Krise: So reden sich Zarif, Kerry und Co. ihren Wiener Atomflop schön.

Die Bühne war vorbereitet, die vom elfjährigen Gefeilsche schon etwas ermattete Weltöffentlichkeit sehnte nur noch den letzten Akt und den erlösenden Schlussvorhang herbei: Alle Außenminister der fünf UN-Vetomächte waren nach Wien gepilgert, 500 internationale Journalisten warteten vor dem Palais Coburg auf die frohe Botschaft. Doch aus dem erhofften historischen Durchbruch wurde wieder nichts. Die Unterhändler der ständigen Sicherheitsratsmitglieder (USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien) und Deutschlands, im Diplomatenjargon P5+1 genannt, brachten neuerlich kein umfassendes Atomabkommen mit dem Iran zustande.

Und so verlängerten sie die Frist, die sie bereits im Sommer bis 24.November gestreckt hatten, abermals, diesmal bis zum 1.Juli des kommenden Jahres. Der Iran und die Weltgemeinschaft prolongierten ihr Provisorium, ihr Zwischenabkommen, das sie vor genau einem Jahr in Genf geschlossen hatten. Das erschien allen Beteiligten noch als die sinnvollste gesichtswahrende Variante nach all den mühseligen Verhandlungen. Denn was wäre die Alternative gewesen? Ein Abbruch der Gespräche hätte die Tür für eine Krise geöffnet, deren Dynamik dann möglicherweise nicht mehr zu beherrschen gewesen wäre. Und mit einem halb garen Kompromiss wollte sich auch keiner zufriedengeben. Besser vorläufig gar kein Abkommen als ein schlechtes. Das war am Ende der Konsens.

Die Frage ist nur, warum in sieben Monaten gelingen soll, was jetzt nicht zu schaffen war: Im sogenannten Atomstreit liegen seit Jahren alle Karten auf dem Tisch; sie müssten nur endlich in der richtigen Reihenfolge abgelegt werden, damit das Patience-Spiel endlich aufgeht. An der Abfolge dürfte es auch diesmal gehakt haben: Die Iraner wollten in Wien eine möglichst rasche Aufhebung der Sanktionen erzielen und machten davon alle Zugeständnisse bei der Anzahl der Zentrifugen und der Anreicherung von Uran abhängig; die westlichen Staaten gestanden lediglich eine Suspendierung für die kommenden acht bis zehn Jahre zu, um die Strafmaßnahmen jederzeit wieder in Kraft setzen zu können, falls der Iran sich nicht an Abmachungen hält. Es ist nach wie vor der Mangel an Vertrauen, der den Iran und die P5+1 davon abhält, den Atomkonflikt zu lösen. Wundern muss das keinen: Der Iran hat die Welt mit seinem Atomprogramm in der Vergangenheit mehrmals und systematisch hinters Licht geführt.

Die Konstellation für einen Deal war diesmal so günstig wie nie zuvor. Warum die Iraner nicht zugegriffen haben, weiß vermutlich nur der Oberste Führer in Teheran. Vielleicht hoffen sie auf ein noch billigeres Angebot, vielleicht geht ihre Hinhaltetaktik auf, vielleicht haben sie aber auch einfach nur eine gute Gelegenheit verpasst. Die iranische Führung wird jedenfalls ihrer Bevölkerung erklären müssen, weshalb die drückenden Wirtschaftssanktionen auch noch in den kommenden sieben Monaten aufrecht sein werden. Und zwar wegen eines Atomprogramms, das die Welt den Iranern auf kontrollierter Flamme und unter bestimmten Auflagen mittlerweile ohnedies erlauben würde.

Schon richtig: Mit ganz leeren Händen steht die Islamische Republik nun nicht da. Sie kann weiterhin die Trostpflaster einlösen, die ihr im Genfer Zwischenabkommen zugestanden wurden. Damals schon hatten die Iraner sich Sanktionserleichterungen ausgehandelt. Zugang zu 700 Millionen Dollar pro Monat bedeutet dies bis 1.Juli. Das ist eine Menge Geld, aber dennoch weitaus weniger als die Einkünfte, die der Iran nach einer Öffnung des Öl- und Gasmarkts und einem Ende der Finanzsanktionen lukrieren könnte.

Umgekehrt steht Irans Atomprogramm dem Genfer Zwischenabkommen zufolge weiterhin unter Kuratel: keine neuen Zentrifugen, keine Urananreicherung über fünf Prozent, Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde.

Die Iraner spielen in dieser Pokerrunde, bei der in Wien nun keiner nachgeben wollte, weiter auf Zeit. Sie sind sich offenbar ziemlich sicher, im nächsten Sommer eine Chance auf einen besseren Abschluss zu erhalten. Dabei könnte es sich um eine Fehleinschätzung handeln.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2014)

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