Erwartbarer Flüchtlingsstrom trifft auf konzeptlose Asylpolitik

Der Verteidigungsminister bietet Kasernen an und rettet die Innenministerin damit über Weihnachten. Aber der Ansturm von Flüchtlingen geht weiter.

Man sollte die für das Asylwesen zuständigen Politiker und Beamten zum allabendlichen Fernsehen verpflichten – oder noch besser: ihnen ein „Presse“-Abo schenken. Wie kann es sein, dass bei breiter Berichterstattung über nicht allzu ferne Krisenherde und die dort entstehenden Flüchtlingsströme bei uns fast wöchentlich die große Überraschung ausbricht, dass sich einige dieser Flüchtlinge auch bis nach Österreich durchschlagen?

In geradezu rührender Hilflosigkeit werden Betreuungsplätze für Asylwerber gesucht, die jetzt im Land sind – und niemand scheint zu bedenken, dass der Strom an Hilfesuchenden nicht abreißen wird. Selbstverständlich hätte man schon im Sommer, als bei noch nicht allzu dramatischer Steigerung der Flüchtlingszahlen fast schon der nationale Notstand ausgerufen wurde, die weitere Entwicklung erkennen und damals schon darauf reagieren müssen.

Jetzt rächt sich ein jahrelang gepflegter Umgang mit dem Thema Asyl: Der stets offen oder unterschwellig geäußerte Verdacht, dass ohnehin lauter Wirtschaftsflüchtlinge nach Österreich kommen, die das Thema Asyl als Vorwand nehmen, um ins reiche Europa einwandern zu können, aktivierte primär einen Abwehrreflex.

Zwar wird niemand bestreiten, dass Missbrauch des Asylrechts tatsächlich vorkommt und dass darauf entsprechend zu reagieren ist. Gleichzeitig muss man aber auch vorbereitet sein, dass es im Fall einer internationalen Krise zu einer tatsächlichen Flüchtlingswelle kommen wird und die Kapazitäten dann bei Weitem nicht ausreichend sind. Oder sollte es tatsächlich so sein, dass für derartige Krisenszenarien gar keine Notfallpläne existieren? Dann wären etliche Verantwortliche im Innenministerium fehl am Platz.

Ebenso problematisch ist die Vorgangsweise in den Bundesländern, die bisher bestrebt waren, möglichst wenige Asylwerber in ihr Land zu lassen. Ein Beispiel auf Gemeindeebene zeigt, welche Denkweise da vorherrscht: Die Kärntner Gemeinde Straßburg will selbst ein Asylwerberheim betreiben – allerdings nicht auf eigenem Gemeindegebiet, sondern in der Nachbargemeinde Gurk. Es ist die Angst vor den negativen Reaktionen aus den Gemeinden, die die Landespolitiker vor allzu großem Engagement in dem Bereich abhält. Und natürlich das Wissen um die Vorgangsweise der Freiheitlichen, die aus dem Schüren vorhandener Ängste ihr politisches Kapital schlagen.

Jetzt rasch die Anzahl der Betreuungsplätze nach oben zu schrauben ist natürlich nicht ganz einfach, wenn man die Bevölkerung nicht überfahren will. Allerdings: Etwas mehr sollte schon möglich sein. Beispielsweise in den Bundesländern Tirol und Salzburg, in denen die Grünen die Flüchtlingsreferentin stellen. Oder in Kärnten und Oberösterreich, wo die SPÖ dafür zuständig ist.

Positiv zu vermerken sind in dem Zusammenhang zwei oft gescholtene Landeshauptleute: In Wien hat Michael Häupl wenige Monate vor der Gemeinderatswahl der Aufnahme von zusätzlichen Flüchtlingen zugestimmt, obwohl Wien die Quote ohnehin schon deutlich übererfüllt. Und auch Niederösterreichs Landeschef, Erwin Pröll, hat zusätzliche 500 Betreuungsplätze zur Verfügung gestellt, obwohl auch Niederösterreich aufgrund des Erstaufnahmezentrums in Traiskirchen die Quote erfüllt. Und bisher hat man aus St. Pölten auch noch keine Proteste dagegen gehört, dass das Verteidigungsministerium zwei Kasernen in Niederösterreich zur Verfügung stellt.

Das Angebot von Verteidigungsminister Gerald Klug, insgesamt vier Kasernen für Flüchtlinge zu öffnen, wird die Innenministerin einmal über Weihnachten retten und ihr Schlagzeilen über „erfolglose Herbergssuche“ ersparen. Mehr als die kurzfristige Überbrückung einer Notsituation sollte das aber auch nicht sein. Gefragt wären jetzt Konzepte, wie langfristig mit steigenden Flüchtlingsströmen umzugehen ist, statt Woche für Woche weiterzuwursteln.

Denn: Die Krise im Nahen Osten ist noch lang nicht beendet. Der Zustrom an Flüchtlingen kann noch weiter anschwellen. Und davon soll bitte niemand überrascht sein.

E-Mails an: martin.fritzl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2014)

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