Die Asylpolitik der Bürger

Wenn sich Landeshauptleute und Bürgermeister weigern, Quartiere für Asylwerber zu öffnen, tun sie das im Interesse der Bürger. Aber was wollen diese eigentlich? Vermutlich zunächst: ein offenes Gespräch.

Was denken Sie, wenn Sie – vermutlich bald wieder – im Fernsehen sehen, wie Leichen von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer geborgen werden? Und was dächten Sie, würden Sie demnächst hören, dass in Ihrer Heimatgemeinde ein Quartier für Asylwerber geplant wird? Vermutlich Dinge, die nicht ganz zusammenpassen.

Und das ist kein Wunder, denn das Wesen des Asylwesens ist der Widerspruch. Einerseits will man es den Flüchtlingen nicht zu leicht machen, aus Angst, es würden immer mehr kommen. Andererseits will man es ihnen nicht zu schwer machen, denn Gleichgültigkeit angesichts menschlichen Elends passt nicht zum Selbstbild einer zivilisierten Gesellschaft. Die Konsequenz? In einem Essay gibt „Spiegel“-Autor Jürgen Dahlkamp eine Antwort, die nur auf den ersten Blick resigniert klingt: Wenn Asylpolitik schon ein schmutziger Kompromiss sei, dann müsse es der bestmögliche schmutzige Kompromiss sein.

Das ist ein Appell, der sich nicht nur an die Politiker, sondern auch an die Bürger richtet. Schließlich machen wir alle Asylpolitik. Nichts zeigt das deutlicher als die zähe Suche nach Quartieren für Asylwerber. Denn warum sind so viele Landeshauptleute säumig? Warum sind so viele Bürgermeister so stur? Eben deshalb, weil sie – in ihrem Interesse – widerspiegeln, was sie für das Unsere halten.

Dabei ist das Interesse der Bürger gar nicht so klar. Da gibt es jene, die sich von dem Thema fernhalten, bis sie mit einem konkreten Schicksal konfrontiert werden und sich dann manchmal selbst überraschen: mit ihrer Hilfsbereitschaft. Dann gibt es die anderen, die Überzeugten pro und kontra Asylwerber. Was diese beiden Gruppen gemein haben: Die Politik geht mit ihnen nicht gut um. Wer z.B. helfen und einen Asylwerber daheim im leeren Gästezimmer beherbergen will, wird nicht in jedem Bundesland mit offenen Armen begrüßt. Dafür gibt es zwar Gründe (die Kontrolle von vielen kleinen Quartieren ist mühsamer als von einem größeren etc.), aber das Signal ist trotzdem falsch. Wo es Engagement gibt, soll man es unterstützen, und zwar ernsthaft – etwa mit Supervision, denn junge traumatisierte Asylwerber sind keine gut gelaunten Erasmus-Studenten. Auch sonst fehlt Offenheit für Ideen der Bürger: In Deutschland gründeten junge Leute eine Webplattform, die Unterkunftsangebote für Asylwerber sammelt. Die ersten sind schon eingezogen.

Systemhass. Apropos Deutschland: Dort sieht man gerade, wie die Politik im Umgang mit den Asylwerbergegnern versagt. Die Protestmärsche der Pegida, der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, verstören Politiker wie Journalisten. Zum einen, weil sich die Mitte der Gesellschaft mit Rechtsextremen mischt. Zum anderen, weil es im Pegida-Zentrum Sachsen kaum Fremde, kaum Muslime gibt. Wobei Letzteres gerade die Voraussetzung für den Protest sei, meint der Philosoph Byung-Chul Han: Nur ein Feind ohne feste Konturen eigne sich, um sämtliche Ängste und sämtlichen Ärger auf ihn zu projizieren.

Und Angst und Ärger gibt es offenbar viel. Deshalb muss man die Pegida-Bewegung und ihren Systemhass ernst nehmen: Nicht so wenige fühlen sich vom Staat alleingelassen, von der „Lügenpresse“ belogen. Man muss fragen: Warum? Die Wut über die Asylpolitik ist zwar nur eine Chiffre, doch man kann etwas mit ihr anfangen. Denn tatsächlich fehlt hier etwas, und zwar schon lange, nämlich eine offene, sachliche Debatte. Wie diese ginge, hat damals ein Staatssekretär hierzulande beim Thema Integration vorgezeigt. Auf das Asyl wollte oder konnte man die Versachlichung aber nicht ausdehnen. Auch, weil die Politiker selbst wankelmütig sind. Die Innenministerin stilisiert an einem Tag kleine Schlepper zu grausamen Bandenbossen, am anderen gibt sie die oberste Herbergssuchende, die sich sogar an die Kirche wendet. Je nachdem, was ins Tagesgeschäft passt. Aber man kann Stimmungen in der Bevölkerung nicht an- und ausknipsen. Die Asylpolitik der Bürger entwickelt sich langsam. Man sollte daher mit ihnen zu reden beginnen – lieber schnell.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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