Frei sind wir nur, solange wir über alles lachen dürfen

Europa darf nicht vor radikalen islamistischen Spinnern, die Grundwerte wie die Meinungsfreiheit mit Kalaschnikows attackieren, in die Knie gehen.

Die Redaktionsmitglieder der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ wussten, dass sie gefährlich lebten. Sie waren im Visier radikaler Islamisten, seit das Magazin im Jahr 2006 die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung „Jyllands Posten“ nachdruckte. Doch die Spötter und Spaßmacher ließen sich nicht einschüchtern, sie provozierten weiter, nahmen richtige und falsche Propheten aufs Korn. Auch von einem Brandanschlag im November 2011 ließen sie sich nicht stoppen. Die Humoristen verstanden sich als Vorkämpfer für Meinungsfreiheit, denen nichts heilig war. Sie zeichneten und schrieben gemäß Kurt Tucholskys Motto, wonach Satire alles dürfe. Das wurde ihnen zum Verhängnis: Zwei Maskierte stürmten am Mittwoch die Redaktion in Paris und richteten ein Blutbad an. „Allahu Akbar“ („Gott ist groß“) sollen sie Zeugen zufolge gerufen haben. Und: „Der Prophet ist gerächt, Charlie Hebdo ist tot.“

Der Terroranschlag war penibel geplant. Die Täter kamen am Tag der Redaktionskonferenz, wollten möglichst viele Mitarbeiter des wöchentlich erscheinenden Satireblatts töten, sich selbst jedoch nicht. Es war kein Selbstmordattentat, wie er der Typologie des islamistischen Terrors der vergangenen Jahre entspräche. Die vermummten Angreifer flüchteten, als ob sie sich für weitere Attacken bereithalten wollten. Ein neues Muster des Schreckens schien sich abzuzeichnen: Das Massaker, verübt mit Sturmgewehren, ließ auf eine militärische Grundschulung schließen.

Frankreich war geschockt. Einen größeren Terroranschlag hat das Land seit Jahrzehnten nicht gesehen. Doch nicht nur Frankreich, ganz Europa hat berechtigten Grund zur Sorge. Möglicherweise war das Attentat auf „Charlie Hebdo“ erst der Anfang einer Terrorwelle, die über den Kontinent hereinbricht. Ganze Legionen europäischer Jugendlicher sind zwischen dem Irak und Syrien auf den Schlachtfeldern der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) radikalisiert worden. Vor Monaten schon rief der IS offen zu Anschlägen im Westen auf. Es war und ist nur eine Frage der Zeit, bis den Drohungen Taten folgen. Denn was dem Islamischen Staat bis zuletzt fehlte, um das verblassende Netzwerk al-Qaida endgültig in den Schatten zu stellen, war ein internationales Attentat. Erste Indizien wiesen freilich darauf hin, dass die al-Qaida für die Attacke auf „Charlie Hebdo“ verantwortlich zeichnen könnte. Auch das ein Horrorszenario: Zwei radikale islamistische Terrororganisationen, die sich in einem Brutalitätswettstreit miteinander befinden und um Aufmerksamkeit und Anhänger ringen.

Die Erscheinungsformen des Terrorismus ändern sich, auch seine mehr oder minder rationalen Beweggründe und Rechtfertigungen. Eines aber scheint nahezu gleich zu bleiben: das Ziel. Terroristen wollen polarisieren und Staaten zu Überreaktionen verleiten. Die wütende, übers Ziel schießende Antwort soll der Terrorgruppe neues Fußvolk in die Arme treiben.

Die Stimmung in Europa ist bereits gereizt genug. In Deutschland marschieren Bürger, die eine Islamisierung ihrer Gesellschaft befürchten. Und in Frankreich malt einer der berühmtesten Autoren, Michel Houellebecq, in seinem neuen Roman, „Unterwerfung“, erschienen übrigens am gestrigen Mittwoch, ein Szenario an die Wand, in dem Islamisten im Jahr 2022 die Macht in Paris übernommen haben. Und genau in diese fiebrige Atmosphäre platzt das Attentat auf „Charlie Hebdo“.


Umso wichtiger ist nun, dass verantwortungsvolle Politiker, darunter auch Frankreichs konservativer Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, deutlich sagen, dass Terroristen, die im Namen eines pervertierten Islam Verbrechen verüben, nicht mit der Mehrheit anständiger muslimischer Bürger in einen Topf geworfen werden dürfen. Eines aber ist auch klar: Europa darf nicht vor radikalen Spinnern, die Grundwerte wie die Meinungsfreiheit mit Kalaschnikows attackieren, in die Knie gehen. Das sind wir den mutigen Kollegen von „Charlie Hebdo“ schuldig. Möge ihnen keiner posthum auch nur hinter vorgehaltener Hand vorwerfen, sie hätten ihr Schicksal herausgefordert. Denn nur solange wir über alles lachen dürfen, sind wir frei.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2015)

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