Die Zeit absurder Forderungen ist mit dem heutigen Tag vorbei

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Tsipras muss mit den europäischen Partnern eine tragbare Lösung für Griechenland suchen. Die EU darf ihre Grundsätze nicht über Bord werfen.

Griechenland hat gewählt. Das Ergebnis entspricht den Erwartungen – wie von den letzten Prognosen vorhergesagt. Dennoch versetzt es Europa in einen Schockzustand, weil die Emotionen bei diesem historischen Urnengang am gestrigen Sonntag die Oberhand über die Rationalität gewonnen haben. Das Votum der Bevölkerung, die nun einer noch ungewisseren Zukunft als in den vergangenen Jahren entgegenblickt, kann wohl nicht als vernünftig bezeichnet werden. Verständlich ist es dennoch. Die Griechen haben ihre Chance auf lang erhoffte Veränderungen in der linksradikalen Syriza gesehen – und haben sie ergriffen, um sich zu befreien: von einem korrupten System, das den alten politischen Seilschaften des Landes angelastet wird und dessen dramatische Auswirkungen der einfache Bürger (er)tragen musste.

Der unkonventionelle Alexis Tsipras konterkarierte das bürokratenhafte Auftreten des bisherigen Regierungschefs, Antonis Samaras, geschickt – und würzte seine Reden mit bissigen Angriffen gegen das mittlerweile so verhasste Establishment. Freilich hatte der 40-jährige Populist ein leichtes Spiel, musste er den Menschen doch nur versprechen, was sie schon so lang hören wollten: Er werde die Kürzungen im Sozialsystem rückgängig machen und Griechenland vom Spardiktat der EU-Troika befreien.

Klingt verlockend, nur: So einfach ist das nicht, wie es von der Oppositionsbank aus formuliert werden kann. Das wissen wohl auch die meisten Tsipras-Wähler. Hier kommt die rationelle Seite ins Spiel, die diesen Wahlausgang so unlogisch macht. Denn immerhin wollen etwa 80Prozent der Griechen in der Eurozone bleiben, das Land aber hängt nach wie vor am Tropf der internationalen Geldgeber. Das Hilfsprogramm für den schwer kranken Patienten läuft zwar offiziell Ende Februar aus, muss aber verlängert werden. Griechenland kann sich nicht allein an den Märkten finanzieren. Athen ist deshalb keineswegs in der Lage, Forderungen zu stellen, wie Tsipras das während des Wahlkampfs vollmundig getan und damit die europäischen Partner bis aufs Äußerste gereizt hat. Eine Pattsituation also, in die sich das Land durch den seit Wochen absehbaren Wahlausgang manövriert hat? Wenn am heutigen Montag die Euro-Gruppe tagt, wird deren Chef, Jeroen Dijsselbloem, seine Drohung wiederholen und Tsipras die Rute ins Fenster stellen: „Wer sich nicht an die vereinbarten Bedingungen hält, wird keine Finanzhilfen erhalten“, hat er sinngemäß in einem Interview mit Spiegel Online gesagt. Der IWF hat die Hilfszahlungen an Athen bereits Anfang des Jahres gestoppt – unter Hinweis auf den ungewissen Wahlausgang.

Nun ist es Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, als Urheberin des Sparkurses in Europa das größte Feindbild der griechischen Bevölkerung, die versöhnliche Töne anklingen lässt: Sie sei „sicher, dass Lösungen gefunden werden könnten“, erklärte sie jüngst. Dass Deutschland seine Bemühungen, Griechenland in der Eurozone zu halten, über Bord wirft, ist also nicht zu erwarten. Und das ist auch gut so. Denn ein Grexit– den auch Tsipras zu vermeiden trachtet – würde wohl nicht nur das mühsam aufgebaute Vertrauen in die europäische Krisenpolitik mit einem Schlag zunichtemachen. Darüber hinaus hätte dieses Szenario für die Griechen selbst weit schlimmere – und zum heutigen Tag wohl kaum absehbare – Konsequenzen, als sie durch das Sparprogramm bereits entstanden sind.


Der Syriza-Chef sollte deshalb einsehen, dass die Zeit absurder Forderungen mit dem heutigen Tag vorbei ist – und sich mit den europäischen Partnern an einen Tisch setzen, um eine für alle tragbare Lösung zu finden.

Die Europäische Union aber darf ihre Grundsätze nicht über Bord werfen, nur weil der Verhandlungspartner gewechselt hat. Dies würde ein gefährliches Exempel für all jene statuieren, die es Alexis Tsipras und seinen Parteifreunden gleichtun wollen: an vorderster Front die Bewegung Podemos in Spanien, wo bei den Parlamentswahlen dieses Jahr ebenfalls eine Abrechnung mit dem politischen Establishment bevorsteht.

E-Mails an:anna.gabriel@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2015)

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