Hellwach nach Paris

FRANCE CHARLIE HEBDO
FRANCE CHARLIE HEBDO(c) APA/EPA/MIGUEL GUTIERREZ (MIGUEL GUTIERREZ)
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Sagen, was ist – ohne zu verallgemeinern: Auf diese Formel sollte man sich in der Integrationsdebatte nach Jahren des Wegsehens verständigen können.

Charlie sind nach wie vor nur wenige, auch wenn es viele nun zu sein vorgeben. Franzosen sind wir mittlerweile alle. Auch wenn der Vergleich hinkt – dort ein Land mit einer Vergangenheit als Kolonialmacht, hier eines mit einer relativ restriktiven Zuwanderungspolitik –, hat der Terror von Paris auch bei uns die Debatte neu entfacht, was eine Gesellschaft mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion zusammenzuhalten vermag.

Und es ist nicht leicht, den Überblick zu bewahren. Den Anfang machte Landeshauptmann Franz Voves, es folgte sein Amtskollege Hans Niessl: Sie forderten strafrechtliche Konsequenzen bei kompletter Integrationsverweigerung. Weitere Wortmeldungen und Vorschläge folgten. Oberösterreichs SPÖ-Chef, Reinhold Entholzer, sprach sich für einen Sozialdienst aus, „dann müssen die Männer vielleicht auch einmal putzen“. Was er nach Protesten wieder zurückzog. (Wobei: Wenn Politiker für jede überzeichnete, pointierte Formulierung geprügelt werden, darf man sich nicht wundern, wenn alle nur noch reden wie Werner Faymann.) Letztlich konnte sich dann auch noch Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek Strafen wie beim Schulschwänzen (440 Euro) vorstellen – und Integrationsminister Sebastian Kurz erhöhte auf 1000 Euro.

Natürlich kann man die Forderungen, insbesondere jene von Voves und Niessl, die die ganze Kaskade in Gang gesetzt haben, populistisch finden – vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahlen in ihren Bundesländern nämlich.

Allerdings ist es grundsätzlich richtig, Probleme zu benennen. Das ist viel zu lang nicht geschehen. Aus falsch verstandener Toleranz. Aus Angst, mit Jörg Haider in einen Topf geworfen zu werden, wagten es viele in den Neunzigerjahren nicht, offen über die Probleme, die die Zuwanderung mit sich brachte, zu reden.

Die Linke sah über antiemanzipatorische, patriarchale Verhaltensweisen, die sie sonst nicht zu tolerieren bereit ist, lieber hinweg: das Mädchen, das mit dem Kopftuch zur Schule muss und nicht am Schwimmunterricht teilnehmen darf. Die Väter, die mit einer Lehrerin nicht sprechen und ihr nicht die Hand geben wollen – darüber wurde erst in den vergangenen Jahren gesprochen. Das mag nun kein flächendeckendes Phänomen sein, aber es sind Einzelfälle, die sich summieren. Und auch Lehrer wollen ernst genommen und mit ihren Nöten nicht ignoriert oder ins rechte Eck gestellt werden.

Die Einrichtung eines Integrationsstaatssekretariats war dann ein später, umso wichtigerer Schritt. Auch das – wie die Griss-Kommission – ein Verdienst des glücklosen Michael Spindelegger.

Die Probleme benennen – ohne zu verallgemeinern: Auf diese Formel sollte man sich verständigen können. Denn auch vielen muslimischen Zuwanderern – und um diese geht es ja in erster Linie – ist nicht gedient, wenn der Staat nicht mit Nachdruck vermittelt, was im Rahmen einer demokratisch-liberalen Grundordnung geht und was nicht.

So schrieb Alice Schwarzer diese Woche in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ in Bezug auf die deutsche Situation: „Ausgerechnet die freiheitsliebenden Muslime haben wir in den vergangenen Jahrzehnten allein gelassen. Stattdessen hat die Politik den Islamisten nach dem Mund geredet. Sie hat es zugelassen, dass leichtfertig einem Kulturrelativismus das Wort geredet wurde, bei dem die Menschenrechte zwar für uns gelten – aber nicht für muslimische Männer und schon gar nicht für muslimische Frauen.“ Und weiter: „Es darf in den staatlichen Schulen keine Extraregelungen wegen Glaubenszugehörigkeit geben; Deutsch muss Sprache für alle sein; wir brauchen Aufklärung über Rechtsstaat und Gleichberechtigung der Geschlechter in den Klassen.“ Dem ist wenig hinzuzufügen.

Realpolitisch bedeutet das: Es ist gut, dass es die Debatte gibt. Es bringt aber wenig, sich überhastet mit Vorschlägen zu überbieten. In der „Bildungsreformgruppe“ soll die Integrationsdebatte nun abgekühlt weitergeführt werden. Ausnahmsweise einmal gar keine so schlechte Idee, ein Thema, nämlich dieses, in eine Arbeitsgruppe auszulagern.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2015)

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