Warum die IS-Terroristen das Schockmoment suchen

Mit der Verbrennung des jordanischen Piloten will der IS zur Motivation der eigenen Leute beitragen – und zeigen, wer die „wahren Muslime“ sind.

Den Henkern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gehen die perversen Ideen nicht aus, wie das Video von der Verbrennung des jordanischen Kampfpiloten Muath al-Kasaesbeh beweist. Er ist eingesperrt in einem Käfig, trägt orange Haftkleidung, blickt zu Boden. Anschließend wird der Pilot bei lebendigem Leib verbrannt, die Kamera hält den brutalen Todeskampf fest. Eine neue Art der Bestialität und Barbarei. Wozu? Das Video hat dem IS wieder das eingebracht, wonach es seit Beginn seines blutigen Feldzugs durch Syrien und den Irak sehnsüchtig lechzt: das Schockmoment. So grausam es klingt, aber die Köpfung von westlichen Geiseln ist für den IS – und somit auch für die Weltöffentlichkeit – zur Routine geworden.

Dem Westen soll das Video zeigen, dass die Jihadisten noch immer da sind, blutrünstig wie eh und je. Für die eigenen Unterstützer aber enthält die Verbrennung al-Kasaesbehs mehrere Botschaften. Das Motiv des Tötens wurde absichtlich gewählt: Der Käfig soll das isolierte Territorium des Möchtegernstaats IS darstellen – und der Pilot die Zivilisten im selbst ernannten Kalifat. Die Verbrennung al-Kasaesbehs kommt dieser Lesart zufolge der Verbrennung der Kalifats-Bewohner gleich, die von den Luftschlägen der Anti-IS-Koalition getroffen werden – und nicht wegrennen können. „Das, was wir mit dem Piloten machen, macht der Westen mit uns schon lang“, will der IS seinen Leuten also ausrichten. Als direktes, ausführendes Mitglied der Anti-IS-Schläge kommt al-Kasaesbeh auch symbolische Bedeutung zu; die F-16 des Piloten stürzte im Dezember nahe der Islamistenhochburg Raqqa ab, dann dürfte er von den Jihadisten gefasst worden sein.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Rolle des Piloten als Staatsbürger eines islamischen Landes. Jordanien ist neben Ländern wie Ägypten und den Golfstaaten Teil der Anti-IS-Koalition, und mit dem aktuellen Video können die Jihadisten in ihrem Fantasiestaat verbreiten, dass ebendiese islamischen Länder erst recht erobert werden müssen, weil die dortigen Muslime die wahren Muslime des IS angreifen. Amman hat sich mit der Reaktion auf die Verbrennung seines Piloten auch nicht mit Ruhm bekleckert: Zwei in Jordanien inhaftierte Islamisten – darunter Saida al-Rishawi – wurden sofort exekutiert. Zuvor hat der IS die Freilassung der Jihadistin al-Rishawi verlangt, Jordanien hat sich sogar gesprächsbereit gezeigt. Ihre Hinrichtung wird der Strategie der Islamisten aber nicht schaden. Sie haben eine neue Märtyrerin.

Dem IS war freilich bewusst, welche Folgen das Video haben wird: ein härteres Vorgehen der Anti-IS-Koalition (Amman hat bereits angekündigt, den Militäreinsatz auszuweiten). Die Auswirkung auf die Dynamik im Kalifat war dem IS aber viel wichtiger, denn es besteht die Gefahr, dass die Mudjaheddin langsam die Motivation verlieren. Spätestens seit die Jihadisten gescheitert sind, die kurdische Enklave Kobane in Nordsyrien einzunehmen, ist ihr Nimbus der Unbesiegbarkeit dahin. Die Kurden haben die Islamisten zwar aus der Stadt gejagt, aber in Syrien kontrolliert der IS noch immer ein riesiges Gebiet.

Dafür stockt der Feldzug im Irak. Demnächst wird es wohl noch heftigere Kämpfe um die ölreichen Städte Mossul und Kirkuk geben. Dank der Anti-IS-Luftschläge befinden sich die Jihadisten in der Defensive, trotz gelegentlicher Eroberungen, die allerdings bedeutungslos geblieben sind. Wichtige Straßen für Materiallieferungen werden von Kurden und dem irakischen Militär kontrolliert, Bagdad ist rundum gesichert. Der Irak könnte allerdings noch effektiver gegen die IS-Schergen vorgehen, wenn das Land seine Kräfte vereinen würde, statt sich mit dem Schiiten/Sunniten-Konflikt selbst zu zerpflücken.

Indessen wird der IS das Schockmoment auch weiterhin suchen – für Grausamkeit gibt es noch Luft nach oben. Das betrifft nicht nur ausländische Geiseln, sondern auch die Bewohner des IS-Terrorgebiets: Kurz vor der Veröffentlichung des Verbrennungsvideos wurde ein ältlicher Mann vom Balkon eines hohen Gebäudes gestürzt, weil er angeblich homosexuell war. Wie durch ein Wunder hat er überlebt – und wurde anschließend zu Tode gesteinigt.

E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2015)

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