Wien bot die ideale Proporzbühne für den kasachischen Krimi

Im Fall Alijew müssen nicht nur zwei Morde in Kasachstan aufgeklärt werden, sondern auch noch einige Behördenwege und Transaktionen in Wien.

Sogar sein Ende inszenierte Rakhat Alijew möglicherweise doppeldeutig, um Raum für Verschwörungstheorien zu lassen, ganz in der Manier eines ehemaligen Geheimdienstmannes. Die Justizwache in der Josefstadt fand den kasachischen Ex-Botschafter tot im Nassraum seiner Einzelzelle, mit Mullbinden erhängt. Zwei Stunden später hätte Alijew vor einem Schöffensenat gegen Mithäftlinge aussagen sollen, denen er vorgeworfen hatte, Schutzgeld von ihm erpresst zu haben: Sie haben ihm laut Anklageschrift angedroht, ihn in der Dusche umzubringen und dies wie einen Suizid aussehen zu lassen, wenn er nicht 3000 Euro bezahle. Die Beschuldigten stritten alles ab, und der Leiter der Vollzugsdirektion in der Justizanstalt Josefstadt sagte klipp und klar, dass Alijew eindeutig Selbstmord begangen habe.

Doch ein Zweifel blieb, und Alijews Anwälte schürten diesen Zweifel: Ihr Mandant habe nicht selbstmordgefährdet gewirkt, der Zeitpunkt seines Todes sei „höchst auffällig“. Die Staatsanwaltschaft ordnete eine Obduktion an, um Klarheit zu schaffen. Doch egal, wie die Untersuchung ausfällt, Verschwörungstheorien werden im Umlauf bleiben.

Undurchsichtig war der Fall Alijew von Anfang an. Das wuchtige Drama entfaltete sich mehr als acht Jahre lang auf mindestens sechs Ebenen: einer juristischen, einer politischen, einer familiären, einer diplomatischen, einer wirtschaftlichen und einer kriminellen. Den Gegenspielern war in diesem epischen Kampf fast jedes Mittel recht: von der Verleumdung über die Bestechung bis zur Entführung. Und Österreich bot mit seinem barocken großkoalitionären Schnürboden, an dem die rot-schwarzen Marionetten dieser Republik zappeln, die perfekte Bühne für den kasachischen Krimi.

Alles begann mit zwei Morden zu Beginn des Jahres 2007. Manager der kasachischen Nurbank verschwanden. Anteile des Geldhauses gehörten Rakhat Alijew, einem mächtigen Mann, dem Schwiegersohn des Herrschers Kasachstans. Damals als Vizeaußenminister stand er noch in der Gnade des Autokraten Nursultan Nasarbajew. Doch das Blatt wendete sich: Alijew ging wieder als Botschafter zurück nach Wien, wenig später setzte ihn das Regime ab und erließ einen Haftbefehl. An Österreichs Justiz stellte Kasachstan einen Auslieferungsantrag. In dieser Phase zwischen 2007 und 2008 agierte die Ex-Sowjetrepublik äußerst aggressiv. Die Kasachen übten Druck über alle Kanäle aus, drohten österreichischen Unternehmen und Politikern. Und ihr Geheimdienst setzte in Wien drei Mal zu Entführungsversuchen an.

Die österreichische Justiz blieb hart und lehnte eine Auslieferung Alijews ab. In Kasachstan, so die Begründung, habe der Ex-Botschafter kein faires Verfahren zu erwarten. Das war wohl eine richtige Einschätzung, gab dem verlorenen Schwiegersohn aber erst recht die Gelegenheit, sich als politisch verfolgtes Opfer in Pose zu werfen, als Verfechter von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.


Alijew kämpfte mit harten Bandagen, zerrte Dokumente aus seiner Zeit als Vizegeheimdienstchef an die Öffentlichkeit, um den kasachischen Staatschef anzuschwärzen. Und in Österreich verteilte er Gunst und Geld. Zwischen Nasarbajew und Alijew entbrannte ein regelrechter PR-Krieg, den sie über Lobbyingagenturen, Rechtsanwälte und Medien ausfochten. Für alle fiel etwas ab, auch für das Media Quarter Marx. Die kasachischen Kontrahenten instrumentalisierten das österreichische System, spielten auch auf der Proporzklaviatur. Die Anwälte der Opfer Alijews waren der roten Reichshälfte zuzuordnen. Alijew setzte eher auf schwarze Hilfe; im Auslieferungsverfahren vertrat ihn der heutige Justizminister, der seinen Mandaten in seinem Haus in Niederösterreich anmeldete. Das half Alijew, einen Fremdenpass zu erhalten, überprüfenswert rasch übrigens.

In den aktuellen Fall mischte der Minister sich nicht ein. Er tat gut daran. Die Justiz begann nach anfänglichem Zögern, das mehrere Jahre dauerte, den Fall auch auf internationalen Druck hin entschlossen aufzuarbeiten. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Der Prozess wird auch ohne Alijew beginnen. Ob die volle Wahrheit über die Vorgänge in Kasachstan und in Österreich je zutage kommt? Wohl kaum.

E-Mails an:christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2015)

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