Attentat im Reich der Desinformation

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Wladimir Putin verspricht Aufklärung des »zynischen« Mordes an seinem Gegner Boris Nemzow und lässt in drei Richtungen ermitteln, demonstrativ auch in eine ukrainische. Wer war da zynisch?

Boris Nemzow stellte keine unmittelbare Gefahr für den Kreml dar. Der liberale russische Ex-Vizepremier (1997/99) war an den Rand gedrängt, seine Zustimmungsraten lagen im einstelligen Bereich, etliche Jüngere kannten ihn gar nicht mehr, als Leitfigur der ohnedies marginalisierten Opposition hatte ihn längst der Blogger Alexej Nawalny überflügelt.Trotzdem war Nemzow bis zu seiner Ermordung ein äußerst unangenehmer Gegner für den russischen Präsidenten.

Denn er bewies immer wieder Mut, Wladimir Putin herauszufordern, indem er Verschwendung, Korruption und zunehmend autokratische Züge öffentlich geißelte. Und in den vergangenen Monaten gehörte Nemzow zu den wenigen vernehmbaren Stimmen in Russland, die die Annexion der Krim und die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine schonungslos kritisierten. Für Nemzow war der Fall klar, schon im Juni hatte er seine Analyse in einem Facebook-Eintrag auf den Punkt gebracht: Putin habe den Krieg in der Ukraine begonnen, weil er Angst vor seinem eigenen Sturz, vor einem Moskauer Maidan, habe und zeigen wolle, dass eine Revolution im Chaos ende.

Zu diesem Zeitpunkt galt Nemzow längst als Landesverräter, als Anführer einer „fünften Kolonne“ des Westens, vor der Putin nach dem Krim-Anschluss gewarnt hatte. Der vierfache Vater ließ sich dennoch nicht einschüchtern.

Ob zufällig oder inszeniert: In der Nacht auf Samstag wurde Boris Nemzow ausgerechnet in Sichtweite des Kreml erschossen. Die Attentäter wollten offenbar eine deutliche Botschaft aussenden. Doch in wessen Auftrag handelten sie?

In einem Beileidstelegramm an Nemzows Mutter versprach Putin, alles zu unternehmen, um die Verantwortlichen dieses „hässlichen und zynischen Mordes ihrer verdienten Strafe“ zuzuführen. Ja genau, wer ist da zynisch? Putins Behörden nahmen Ermittlungen in drei Richtungen auf, wie ein offizieller Sprecher mitteilte. Erstens sei ein islamistischer Hintergrund möglich, denn Nemzow habe sich nach den Pariser Anschlägen auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ solidarisch mit den Journalisten gezeigt und deshalb Drohungen erhalten. Zweitens nehme man die Geschäftsbeziehungen des Ermordeten unter die Lupe. Und drittens gehe man einer ukrainischen Spur nach, denn dortige Extremisten hätten möglicherweise das Ziel verfolgt, Russland mit dem Auftragsmord zu schaden. Schon kurz nach dem Attentat haben die Behörden ausgestreut, dass Nemzow von einer blutjungen Ukrainerin, Jahrgang 1991, begleitet worden sei.

Das Material für Verschwörungstheorien, eine der derzeit bevorzugten Kommunikationsformen des Kreml, ist unters Volk gebracht. Seltsam nur, dass die Moskauer Fahnder zunächst nicht auf die Idee gekommen sind, russische Ultranationalisten unter die Lupe zu nehmen, denen Nemzow ein Dorn im Auge war. Ganz zu schweigen von Spuren, die in den Kreml führen könnten. Diese Variante wird natürlich ausgeschlossen: Denn Nemzow war ja kein wirklicher Gegner. Und hätte man ihn dann wirklich vor der Haustür umgebracht? Russland 2015.

christia.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2015)

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