"Bibis" Propagandacoup und Israels strategischer Schaden

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Israels Premier Netanjahu setzt im Iran-Atompoker alles auf eine Karte. Er verprellt die USA, den wichtigsten Protektor des Judenstaats.

Als sonderlich religiös ist Benjamin Netanjahu bis dato nicht aufgefallen. Und doch machte Israels Premier vor seinem Abflug nach Washington, zu einer laut eigener Diktion „schicksalshaften“ und „historischen“ Mission, demonstrativ eine Stippvisite zur Klagemauer in Jerusalem. In jüdisch-orthodoxer Tradition deponierte er in einer Felsritze ein Zettelchen mit seinen Wünschen – und ganz obenauf müsste wohl seine Wiederwahl bei der vorgezogenen Parlamentswahl in zwei Wochen stehen. Diesem Ziel, der Erlangung einer bereits vierten Amtszeit, hat der 65-Jährige alles untergeordnet. Kein Trick ist ihm zu plump, keine Geste zu hohl.

Er setzt dafür selbst die Beziehungen zu den USA, Israels großen Protektor, aufs Spiel. In der Obama-Ära verschlechterten sie sich sukzessive, um jetzt in ein Allzeittief zu fallen. Dabei hat es zuvor schon nicht an Affronts gefehlt, an Brüskierungen Obamas, seines Vizes, Joe Biden, und der Außenminister Hillary Clinton und John Kerry. Es ging jedes Mal um den Siedlungsbau und die Torpedierung der Gespräche mit den Palästinensern, um zentrale Fragen des Nahost-Konflikts. Nach dem jüngsten Gaza-Krieg liegt der Friede unter Trümmern begraben, ohne Chance auf Wiederbelebung. Für die US-Regierung trägt Netanjahu die Hauptschuld am Scheitern der Friedensinitiative Kerrys.


Just am Dienstag, wenn der US-Außenminister in Montreux am Genfersee mit seinem iranischen Widerpart Zarif um Details für ein Grundsatzabkommen im Atomstreit feilschen wird, spitzt sich der Konflikt Netanjahus mit der Regierung in Washington in einem Parallel-Showdown an einer anderen Front dramatisch zu. Es sei seine „heilige Pflicht“, eine iranische Atombombe zu verhindern, formulierte Israels Premier jüngst neuerlich sein Credo, das er seit Jahren mit Fanfarenstößen und großem Pathos posaunt – 2012 vor der UN-Vollversammlung mithilfe einer Comic-Strip-Bombe samt glimmender Zündschnur und wohl auch am Dienstag auf dem Kapitol, in seinem bereits dritten Auftritt vor dem US-Kongress, der im Vorfeld zu einem schweren Zerwürfnis zwischen Washington und Jerusalem geführt hat. Die Spannungen treten auch bei der Aipac-Konferenz, der jährlichen Tagung der wichtigsten jüdischen US-Lobby in Washington, zutage – der heutigen Generalprobe für Netanjahus Auftritt im Kapitol.

Bei seiner letzten Kongress-Rede würdigten ihn die US-Abgeordneten mit 29 Standing Ovations, diesmal werden Sitze im Sitzungssaal des Parlaments indes leer bleiben – aus Protest, weil die Republikaner im Verbund mit Netanjahu das Weiße Haus ausmanövrierten, als sie mitten im israelischen Wahlkampf dem Premier eine Bühne mit größtmöglichem internationalen Echo bereiteten. Viele Kaliber wie Biden und Kerry boykottieren unter diplomatischem Alibi die Brandrede „Bibis“, wie Netanjahu mit seinem Spitznamen genannt wird. Obama verweigert ihm die obligate Audienz im Weißen Haus – ein unerhörter Vorgang im US-israelischen Verhältnis. Der Präsident zeigte sich zudem verärgert, dass Israel Informationen aus den Atomverhandlungen mit dem Iran ausplauderte, um einen Deal zu Fall zu bringen – ein dezidierter Vertrauensbruch.

Bibi Netanjahu, der das Polit-Getriebe in den USA als Ex-Diplomat in Washington und New York wie kaum ein anderer israelischer Politiker kennt, hat sich verkalkuliert. 2012 hat er im US-Wahlkampf aufs falsche Pferd gesetzt – auf den Republikaner Mitt Romney. Und bereits vor 25 Jahren hatte US-Außenminister James Baker den damaligen Vize-Außenminister Netanjahu wegen forscher Kritik zeitweilig zur Persona non grata erklärt.

Er hat nichts aus der Lektion gelernt. Desavouiert vom eigenen Militär und Geheimdienst in der Atomfrage, intern unter anderem wegen Eskapaden seiner Frau Sara und aufgrund des zersplitterten Parteienspektrums unter Druck, glaubt er an einen kurzzeitigen, taktischen Propagandasieg als Retter Israels. Er begeht indes einen gravierenden strategischen Fehler: So viele Freunde hat Israel nicht auf der Welt, als dass es sich leisten könnte, seinen wichtigsten Verbündeten so vehement zu verprellen. Wie immer die Wahl in Israel ausgeht: Netanjahu müsste noch fast zwei Jahre mit Barack Obama leben – und dann womöglich mit Hillary Clinton.

E-Mails an:thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2015)

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