Ronald Reagan, Inspektor Columbo und die europäische Morgenröte

Die hausgemachten Probleme Europas sind zwar noch lang nicht gelöst, doch anders als auf dem Höhepunkt der Eurokrise gibt es nun Rückenwind.

"It is morning in America“ – als dieser Wahlslogan von Ronald Reagan 1984 über die Fernsehschirme flimmerte, war in den Vereinigten Staaten in der Tat ein neuer Morgen angebrochen. Nach der sozioökonomischen Selbstverstümmelung der 1970er-Jahre, die Anfang des neuen Jahrzehnts in einer Rezession kulminierte, waren die USA auf den Wachstumspfad zurückgekehrt. Die Inflation war bezwungen, die Arbeitslosenquote ging zurück, die Unternehmen verdienten mehr. Und Reagan selbst, dessen Popularitätswerte noch ein Jahr zuvor unter dem Hund waren, konnte 1984 seine Wiederwahl sichern.

Dass die USA in den Jahren vor Reagans Präsidentschaft von einer kollektiven Depression erfasst waren, sollte Europa zu denken geben. Denn ähnlich wie damals die Vereinigten Staaten gilt die EU heute vielen als hoffnungsloser Fall: Im Niedergang begriffen, zu Reformen unfähig, weinerlich, narzisstisch, introspektiv – ein Bild spätrömischer Dekadenz. Dass dieses Bild nicht der Wirklichkeit entspricht, wissen jene, die die Schlagkraft europäischer Exporteure kennen. Doch auch sonst mehren sich die Anzeichen, dass eine Wende zum Besseren eintritt: Die Wachstumsprognose für 2015 wurde von der EZB nach oben geschraubt, um 0,5Prozentpunkte auf 1,5Prozent. Im deutschen Einzelhandel legten die Umsätze zu Jahresbeginn um sensationelle fünf Prozent zu. Selbst Italien schrumpft nicht mehr, sondern stagniert bloß. Vom Dolce Vita ist man da zugegebenermaßen noch weit entfernt, mit dem Dolcefarniente scheint es aber vorbei zu sein.

Ist das bereits der europäische Tagesanbruch, oder ist die Hoffnung auf ein Ende der Dauerkrise trügerisch? Aus dem Blickwinkel eines Pessimisten ist es nicht die konjunkturelle Morgenröte, die den Himmel über Europa erhellt, sondern das abgebrannte Griechenland. Aller berechtigten Kritik zum Trotz: Hellas mag zwar eine Last sein, zugleich ist es aber nicht schwer genug, um Europa untergehen zu lassen. Die hausgemachten Probleme der EU sind zwar noch lang nicht gelöst, doch im Gegensatz zum akuten Stadium der Schuldenkrise kommen ihr nun mehrere externe Faktoren zu Hilfe.

Der wohl wichtigste ist der Sturzflug des Ölpreises – eine Milliardenspritze, die für Europas Verbraucher und Firmen keine Sekunde zu früh kommt. Eine weitere Hilfe ist der schwache Euro. Angesichts der Probleme in der Eurozone war die Stärke der Einheitswährung eine Aberration – denn üblicherweise sind Währungen dort weich, wo die Wirtschaft kriselt. Dass der Euro nach seiner Talfahrt gegenüber dem US-Dollar auf dem Niveau notiert, das er zu seiner Einführung hatte, zeugt vom Ausmaß der Verwerfungen auf den Finanzmärkten. Nun, da die US-Notenbank eine Anhebung des Zinsniveaus anpeilt und die EZB im Gegenzug die Märkte mit Geld flutet, dürfte das Blatt sich nachhaltig gewendet haben.

Zu früh sollte man sich allerdings nicht freuen, denn in dieser Gleichung gibt es noch zu viele Unbekannte. So wissen wir nicht, ob den USA die Normalisierung ihrer Geldpolitik gelingt. Auch über dem Ausmaß der Verschuldung in China schwebt ein großes rotes Fragezeichen – von der Lage am Ostrand Europas ganz zu schweigen. Nichtsdestoweniger gibt es derzeit so viel Potenzial für positive Überraschungen wie schon lang nicht mehr. Auch, weil Europa – anders als die USA – nicht sofort nach dem Dopingmittel des billigen Geldes gegriffen, sondern den Weg schmerzhafter Reformen beschritten hat, die aber erst mit einer zeitlichen Verzögerung wirken. Dass Geldschwemme ohne strukturelle Erneuerung in eine Sackgasse führen kann, zeigt das abschreckende Beispiel Japans. Und es zeigt auch, dass es viel leichter fällt, den Geldhahn aufzudrehen, als verkrustete Strukturen aufzubrechen.

Investoren, die in Zeiten negativer Verzinsung nach Verdienstmöglichkeiten Ausschau halten, sollten also an den kalifornischen Sonnyboy Ronald Reagan und an die jüngsten europäischen Lichtblicke denken. Was die persönliche Strahlkraft anbelangt, kann EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker es zwar nicht mit Reagan aufnehmen, sondern höchstens mit Inspektor Columbo. Doch auch in Europa hat Morgenstund Gold im Mund.

-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2015)

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