Die Freiheit braucht ein Stützkorsett

Das Büro ist kein Kinderzimmer, und Gewohnheiten wird man nur schwer los. Warum man auch 2015 den Frauentag nicht für überflüssig erklären kann.

Wenn Väter oder Mütter mit ihren kleinen Töchtern über das Leben reden, ist die Welt meist heiter und sehr in Ordnung. Du kannst einmal alles werden, was du willst, du musst es nur wollen, lautet das Mantra, das Mädchen genauso wie Buben mitgegeben wird.

Später stellt man freilich fest, dass das Leben sich an das Gleiche-Chancen-für-alle-Prinzip leider nicht ganz hält. In vielerlei Hinsicht. Und unter anderem eben in einer: Für die Mädchen und Buben von einst läuft es im Job oft recht unterschiedlich. Da gibt es noch immer den Geschlechterlohnunterschied, der sich mit objektiven Faktoren nicht erklären lässt. Und nach wie vor machen Männer weiter Karriere, wenn sie Vater werden, während für Frauen ein Kind erst einmal ein Halteschild bedeutet. Manchmal dauert der Stopp für immer.

Getreu dem Motto aus der Kindheit kommen Frauen dann mitunter ins Grübeln: Denn wenn alles nur vom eigenen Wollen abhängt, dann hat man wohl nicht genug gewollt. Bestärkt werden Frauen darin von Politikern, die Wahlfreiheit predigen: Frauen können selbst frei entscheiden, lautet der Stehsatz. Und der Nachsatz: Insbesondere, auch daheim bei den Kindern zu bleiben.

Aber wer das Hohelied des freien Willens laut singt, der muss auch die Ausgangslage für freie Wahl schaffen. Und da hapert es. Denn obwohl in der Theorie alle für Chancengleichheit sind, liefert der Frauentag Jahr für Jahr den Gegenbeweis: So ist die Verteilung der Erziehungsarbeit auch 2015 eher fantasielos. Die Vereinbarkeit von Job und Familie bleibt Frauenthema. Nicht die Lebenspläne des oder der Einzelnen entscheiden in der Regel, wer sich um die Kinder kümmert, sondern das Geschlecht. Passt das zum hehren Mantra aus dem Kinderzimmer? Eher nicht. Echte Wahlfreiheit ließe mehr Varianten zu und würde bedeuten, dass ein Arbeitgeber bei einer Beförderung nie wissen könnte, ob der Mann oder die Frau bei einer Familiengründung Teilzeit arbeitet.

Wie man so einen Zustand erreicht, daran scheiden sich jedoch die Geister. Manche (junge) Frauen, wie etwa die Autorinnen des im Vorjahr erschienenen „Tussikratie“-Buchs, sind inzwischen gegen konzertierte Frauenförderung. Ein Lebensmodell sei reine Privatsache, Männer und Frauen sollten lieber gemeinsam für eine gerechtere Arbeitswelt eintreten. Ein schöner Gedanke. Allerdings hört man von den Männern noch recht wenig dazu. Sie reißen sich nicht gerade um den typisch weiblichen Anteil der Arbeitswelt: um Teilzeitarbeit oder die (mäßig bezahlten) Frauenbastionen. Es gilt noch immer das Zitat des Soziologen Ulrich Beck, der hier „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ diagnostiziert hat.

Außerdem überschätzt dieser individualistische Denkansatz die Männer und Frauen: Man lebt sein Leben nicht nonstop reflektiert nach Masterplan. Es passiert einem. Und dabei ist man auch das Produkt der Erwartungen rundum. Der Mensch will gemocht werden. Die irritierte Überraschung des Chefs kann daher Teilzeitwünsche von Vätern im Keim ersticken, genauso wie die Krippenkritik der Oma eine Mutterkarenz verlängern oder den Ausstieg aus dem Job fixieren kann. Beschweren kann man sich nachher aber nicht. Denn man hat ja frei gewählt, oder?

Auch bei der Debatte rund um Frauenquoten für Aufsichtsräte zeigt sich die Macht der Gewohnheit. Denn dass dort vor allem Männer sitzen, hat ja nichts mit einer Verschwörung zu tun, sondern damit, dass Männer automatisch Männern folgen. Man sucht ähnliche Nachfolger, nicht die besten. Solche Henne-Ei-Situationen gibt es viele und man kann sie leider oft nur unelegant und – das muss man offen zugeben – auch nicht immer für alle fair lösen. Wäre es anders, müsste man ja erst gar nicht über Aufsichtsratfrauenquoten diskutieren. Es ginge von selbst.

Der Schluss daraus? Da wir alle nur Menschen sind, die gern gewohnte Wege gehen, kommt man um Frauenförderung, Gender-Pay-Gap-Berechnungen und den Frauentag nicht herum. Die Wahlfreiheit braucht ein Stützkorsett. Und zwar so lange, bis die Theorie aus dem Kinderzimmer und die Praxis im Büro halbwegs zusammenfinden.

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2015)

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