Was Alexis Tsipras und Pippi Langstrumpf gemein haben

Auch der griechische Premier glaubte an das Prinzip „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt“. Doch dann kam ihm die Wirklichkeit dazwischen.

Ist es Wahnsinn mit Methode oder spontaner, ungezügelter Wahnsinn? Diese Frage stellen sich vermutlich nicht wenige Teilnehmer der Verhandlungen über die Hilfen für Griechenland, die zuletzt wieder an Brisanz gewonnen haben – wozu die, vorsichtig ausgedrückt, unorthodoxe Kommunikationspolitik der Griechen ihren Anteil beigetragen hat. Lassen wir an dieser Stelle die Höhepunkte der vergangenen Tage Revue passieren: Am Freitag wirft Außenminister Nikos Kotzias der EU kulturellen Rassismus gegenüber seinem Land vor; am Samstag erklärt Premier Alexis Tsipras, Athen wolle sich nicht weiterverschulden – und fordert im selben Atemzug Geld von der Europäischen Zentralbank; zeitgleich schlägt Finanzminister Yanis Varoufakis vor, Studenten und Touristen als Steuerfahnder einzusetzen; am Sonntag droht Varoufakis den Gläubigern mit einem Referendum über den Verbleib Griechenlands in der Eurozone, sollten sie seine Ideen nicht gutheißen, woraufhin er von Tsipras zurückgepfiffen wird; und um die Angelegenheit abzurunden, wünscht sich Kotzias am selben Tag von der EU Entschädigungen für die Schäden, die Griechenland infolge der Russland-Sanktionen erlitten hat.

Wer diese rhetorischen Volten von Berufs wegen mitverfolgen und ernst nehmen muss, versteht spätestens jetzt, warum Wolfgang Schäuble nach der letzten Verhandlungsrunde in Brüssel dermaßen ermattet gewirkt hat: Dem deutschen Finanzminister wurde vom Schicksal der undankbare Part des Dompteurs im Flohzirkus zugeteilt. Als gewichtigstes Mitglied der Eurozone ist Deutschland zur Wortführerschaft verurteilt – und wird damit zur Projektionsfläche für die Wut der Griechen über die angeblich ungerechte Behandlung ihres Landes. Es ist eine Rolle, mit der sich Schäuble nolens volens abgefunden hat – die ihn aber viel Kraft kostet.

Bevor die Emotionen auf beiden Seiten überhandnehmen, wäre es angebracht, einen Schritt zurückzugehen. Aus der Distanz gewinnt ein Beobachter der Griechenland-Krise mindestens drei Erkenntnisse. Erstens: Gesamtwirtschaftlich betrachtet geht es bei den Verhandlungen um sprichwörtliche Peanuts. Die Sprengkraft der griechischen Schulden ist für die Eurozone denkbar gering – nicht aber für Griechenland selbst. Zweitens: Die Griechen wollen mehrheitlich nicht aus der Währungsunion ausscheiden. Und drittens: Es ist wichtig und richtig, ihnen die offene Hand entgegenzuhalten. So pathetisch es auch klingen mag: Sie sind Teil der Schicksalsgemeinschaft namens EU und verdienen das Verständnis der Partner angesichts ihrer dramatischen Lage. Es wäre nicht einzusehen, dass Athen die Tür vor der Nase zugeschlagen wird, während man mit Moskau auch nach dem x-ten Bruch der Zusagen zur Ostukraine geduldig weiterverhandelt.


Diese prinzipielle Hilfsbereitschaft darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass nun alles von den Griechen selbst abhängt. Die Ereignisse der vergangenen Wochen lassen nur einen Schluss zu: Premier Tsipras ist zum Gefangenen seiner eigenen populistischen Wahlslogans geworden. Er schien allen Ernstes geglaubt zu haben, Politik à la Pippi Langstrumpf betreiben zu können: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ Doch dann kam der Frontalzusammenstoß mit der Wirklichkeit.

Angesichts der akuten Geldnot mag es paradox klingen, doch haben die Griechen, die sich seit Jahren über die Bevormundung durch die „Troika“ der internationalen Geldgeber bitter beklagen, durch Tsipras' Wahlsieg in der Tat ihre Entscheidungsfreiheit wiedererlangt. Sie können nun entscheiden, ob sie in der Eurozone verbleiben oder diese verlassen wollen. Ersteres bedarf des Eingeständnisses, dass gemachte Versprechen gehalten werden müssen, dass Entgegenkommen auf Gegenseitigkeit beruht, dass die Zahlungsbereitschaft der EU-Partner mit der eigenen Reformbereitschaft steigt – und dass es keinen Sinn hat, auf Wunder und milde Gaben zu hoffen. Im Kreis der Gelehrten lässt sich über eine Vergemeinschaftung der europäischen Schulden trefflich streiten – in der Praxis würde dieser Schritt viele Millionen Europäer überfordern. Auch das ist Teil der von Athen beschworenen demokratischen Selbstbestimmung.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.