Arme Griechen, böse Deutsche: Der falsche Film in den Köpfen

Beim Geld hört die Freundschaft auf? Stimmt nicht. Sie muss sich vielmehr bewähren – aber anders, als die griechische Führung das gern hätte.

In der Haut von Alexis Tsipras möchte in diesen Tagen wohl niemand stecken. Der unerfahrene Premier in Athen muss laufend aufklaffende Finanzlöcher stopfen, damit Griechenland nicht unversehens in einen ungeordneten Bankrott versinkt. Auch die Kreditgeber haben es schwer in ihrer heiklen Abschätzung, ob sie die provokanten Regelbrecher fallen lassen oder beide Augen zudrücken sollen. Leicht hätte es jetzt nur ein Propagandafilmer im Auftrag Athens (abgesehen davon, dass auch er kein Geld sehen würde). Er brauchte nur das diffuse Gefühl, das ein synaptischer Kurzschluss in so vielen klugen Köpfen und empathischen Seelen erzeugt, in rasche Schnittfolgen umzusetzen.

Leidende Kranke in griechischen Spitälern. Schnitt. Herr Schäuble in Berlin, der ein knappes Nein aus dünnen Lippen presst. Schnitt. Eine alte Griechin, die mit zittriger Hand um Almosen bettelt. Schnitt. Gut genährte Ökonomen, die alle Gläubiger wohlgemut ermuntern, knallhart zu bleiben – uns kann nichts passieren, die Ansteckungsgefahr ist vorbei. Schnitt. Das Begräbnis eines Selbstmörders (die Suizidrate ist in Hellas gestiegen). Schnitt. Glatzköpfige Ostdeutsche, von denen man nicht wissen will, wen sie wählen, halten grinsend die „Bild“-Zeitung hoch, das Zentralorgan des Griechen-Bashing. Rasch wäre jedem klar, wer in diesem Plot die armen Guten und wer die mitleidlosen Bösen sind. Nun kann sich Athen einen solchen cineastischen Feldzug nicht leisten. Aber die Reparationsforderungen an Berlin tauchen wieder auf: Sie fügen den neuen Bildern alte hinzu, in reinem Schwarz-Weiß und nicht einzufärben – nur wenige der von den Nazis überfallenen Länder haben so gelitten, keines wurde so kärglich entschädigt.

Allein: Erdachter Film und echte Forderungen sind gleichermaßen manipulativ. Zunächst steht fest: Jeder Mensch, der Not leidet, verdient unser Mitgefühl. Nur ist unser emotionales Reservoir begrenzt. Wir sollten es daher dorthin steuern, wo die größte Not herrscht. Das ist sicher nicht in Griechenland. Einkommen pro Kopf, Pension, Mindestlohn, Arbeitslosenhilfe – ihre Höhe zeigt die Gefahr an, in echte Not zu geraten. Bei all diesen Kenngrößen liegt Griechenland immer noch weit über den meisten Ländern der Welt, auch den Eurostaaten Osteuropas.

Warum also die Kamera gerade auf die Griechen werfen – und nicht auf arme Esten, Somalier oder Bangladescher? Weil es den Griechen schon einmal besser ging? Subjektiv mag ein Rückfall besonders schmerzhaft sein, objektiv ist er kein Argument. Zumal der frühere Wohlstand ein Luftschloss war, erbaut auf zu hohen Löhnen, steigenden Schulden und sinkender Wettbewerbsfähigkeit – ein Fundament, das keines ist. Damit bleibt als Grund nur die (meist klammheimliche) Unterstellung, die Europäer mit den Deutschen an der Spitze hätten sich gegenüber den Griechen schuldig gemacht – durch eine gnadenlos aufgezwungene Zu-Tode-Sparpolitik.

Was haben die Europäer getan? Sie haben den Griechen viel Geld geliehen, von Anfang an mit der berechtigten Sorge, einiges davon nie wieder zu sehen. Sie haben, wie jeder Gläubiger, Sicherheiten verlangt. Keine Inseln und keine Akropolis, sondern nur Reformen, die nach der weltweiten, jahrzehntelangen Erfahrung der Experten für Schuldnerstaaten der einzige, wenn auch steinige Weg zur Genesung sind. Ja, es gibt eine andere Denkschule. Aber die Zahl der Ökonomen, die ernsthaft glauben, ein korrupter Failed State ohne Steuermoral und Geschäftsmodell könne allein mit Geldgeschenken seiner Krise entkommen, ist sehr klein. Sie sind nur laut zu hören, als Off-Stimme zum Griechen-Film, als Stimme eines aufgezwungenen schlechten Gewissens.

Aber es ist nicht verwerflich, auf der Einhaltung von Verträgen und Regeln zu bestehen – im Gegenteil. „Beim Geld hört die Freundschaft auf“, sagt der Volksmund und irrt sich. Das warme Gefühl ums Herz mag abkühlen, wenn der Freund sich als säumiger Schuldner erweist. Aber nur, wenn man Geborgtes zurückzahlt, wenn man sich an Vereinbarungen und gemeinsam beschlossene Regeln hält, kann es auch Vertrauen geben. Und das ist der einzige Boden, auf dem Freundschaft auf Dauer gedeihen kann.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2015)

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