Die Freude über 75 Euro mehr im Monat ist verfrüht

In ein paar Jahren wird die kalte Progression schon wieder auffressen, was uns die Regierung jetzt mit einem geringeren Eingangssteuersatz lässt.

Seien wir nicht undankbar: Natürlich bringt uns diese Steuerreform Geld. Etwa so viel, dass wir zweimal pro Monat mit der Familie (zwei Kinder, ohne Vorspeise) essen gehen oder einmal das Auto volltanken können. Dem Durchschnittsverdiener (2200 Euro brutto) werden monatlich etwa 75 Euro mehr bleiben. Wer 3000 Euro brutto verdient, spart sich nach ersten Berechnungen sogar 100 Euro – und kann also die Vorspeise mitbestellen.

SPÖ und ÖVP gebührt Lob für die Senkung des Eingangssteuersatzes auf 25 Prozent, die schon längst fällig war. Denn der bisherige Mindeststeuersatz von 36,5 Prozent lag beispielsweise nur knapp unter dem Höchststeuersatz, den man in den USA bezahlt (39,6 Prozent). Jetzt ist man immerhin mit Deutschland vergleichbar. Vielleicht trägt dieser Schritt auch dazu bei, dass mehr Menschen bereit sind, mehr zu leisten.

Für diese Senkung müssen wir aber alle ordentlich bezahlen. Die Liste der Steuern, die im Gegenzug erhöht werden, ist lang: Sie reicht von einer Erhöhung der Kapitalertragsteuer auf 27,5 Prozent über eine Anhebung des Spitzensteuersatzes bis zu einer höheren Grunderwerbsteuer. Die Erhöhungen werden nicht nur Millionäre treffen, die ja Grund und Ziel dieser Reform waren, sondern jeden.

Wäre die ÖVP die wirtschaftsliberale Partei, die sie vorgibt zu sein, dann hätte sie nie auf die populistischen Forderungen ihres Koalitionspartner reagiert. Aber natürlich tut man sich schwer, vernünftig zu bleiben, wenn eine Partei ständig davon spricht, dass auch „die G'stopften“ einen Beitrag leisten müssten – für die Krise, für die anderen Arbeitnehmer, für das Land, für das schöne Wetter.

Neid ist in Österreich ein recht verbreitetes Gefühl, und deswegen freuen sich viele, wenn es jenen wenigen, die mehr haben, ans Geldbörsel gehen soll. Vor allem dann, wenn eine Partei verspricht, mit diesem Beitrag die vielen zu entlasten. Statt die Rufe der SPÖ einfach als billige Wahlkampfpropaganda zu ignorieren, stimmte die ÖVP ein. Sie verhinderte jetzt zwar klassische Millionärssteuern, aber der Kompromiss, auf den man sich einigen musste, tut dafür umso mehr Menschen weh.

Laut einer Umfrage glauben nur 28Prozent der Österreicher, dass sie mit dieser Reform entlastet werden. Der Großteil davon sind Wähler von SPÖ oder ÖVP, ihnen kann man also einen gewissen Zweckoptimismus wegen ihrer Wahlentscheidung von Ende 2013 unterstellen. Tatsächlich wäre es ein kleines Wunder, wenn die Abgabenquote in Österreich, die aktuell bei 43,9Prozent liegt, nach dieser Steuerreform sinkt.

Die große Gefahr dieser sogenannten Steuerreform ist, dass man mit ihr die Steuerproblematik auf Jahre hinaus für gelöst betrachtet. Man hat ja etwas getan, also kann man sich zurücklehnen. Dabei gibt es viele gute Gründe, ernsthaft unser Steuersystem zu reformieren.


Einer davon ist hauptsächlich dafür verantwortlich, dass alle Entlastungen von heute in ein paar Jahren schon wieder verpufft sein werden: die kalte Progression, also die zusätzlichen Abgaben, die wir bezahlen, weil die Einkommensgrenzen für die Lohnsteuer nicht an die Inflation angepasst werden. Laut Berechnungen der Innsbrucker Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung hat die Inflation die Lohnsteuereinnahmen seit 2009 um 3,58 Mrd. Euro steigen lassen. Die Entlastung durch diese Steuerreform gleicht also die vergangenen sechs Jahre aus und gibt uns eine kurze Atempause für 2016 und 2017. Dann wird es schon wieder jedes Jahr schleichende Steuererhöhungen geben.

Notwendig wäre, den Faktor Arbeit nachhaltig zu entlasten. Etwa mit Steuern, die den verschwenderischen Umgang mit Ressourcen oder die Verschmutzung der Umwelt bestrafen und nicht das Schaffen von Arbeitsplätzen. Man kann sogar über Vermögensteuern diskutieren, wenn man im Gegenzug die Einkommensteuern massiv senkt.

Eine solche Reform auszuarbeiten und umzusetzen dauert Jahre. Dafür muss eine Regierung in die Zukunft schauen und an kommende Generationen denken. Insofern haben wir bekommen, was wir von dieser Regierung erwarten können.

E-Mails an: norbert.rief@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2015)

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