Warum TTIP eine Chance ist

In der abgründigen Stimmung zum Handelsabkommen EU/USA bleibt das wichtigste Argument auf der Strecke: eine positive Gestaltungsmöglichkeit.

Ein Nein ist immer eine Option. Ein Nein kann Schlimmes verhindern, es kann Barrieren setzen. Ein ultimatives Nein schließt aber auch jede Möglichkeit aus, einen guten Kompromiss zu finden. Eine solche ultimative Position vertritt ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung beim Thema TTIP, dem geplanten Handelsabkommen mit den USA. Laut einer Umfrage der Gesellschaft für Europapolitik befürworten lediglich neun Prozent einen solchen Vertrag – wohlgemerkt: bevor er überhaupt ausverhandelt wurde.

Möglicherweise betrachten viele ihr Nein als Statement gegen den westlichen Kapitalismus. TTIP ist für sie Symbol eines finanzgetriebenen Systems, das seine Schwächen in den USA und Europa offenbart hat. Diese Argumentation bricht freilich in sich zusammen, wenn der Inhalt des Abkommens betrachtet wird. Denn hier geht es um ein Handelsabkommen, durch das die Realwirtschaft wieder Auftrieb bekommen soll. Es geht um den Abbau von unterschiedlichen Normen und die Reduzierung von nationalem Protektionismus im Waren- und Dienstleistungsverkehr. Wer den Kapitalismus über ein Nein zu TTIP ändern möchte, ist im falschen Film.

Aber was wird das Nein tatsächlich bewirken? Nutzen die USA und die Europäische Union diese Chance nicht, werden die beiden Wirtschaftsblöcke gegenüber Asien weiter ins Hintertreffen geraten. Auch der anerkannt positive Teil unseres Systems, der sozial abgesicherte Wohlstand, wird immer stärker von außen durch Billiglohnländer zersetzt werden.

Natürlich wäre es auch eine Illusion zu behaupten, TTIP allein könnte diese Entwicklung, die sich seit Jahrzehnten abzeichnet, stoppen. Das Handelsabkommen ist lediglich eine Chance, weltweite Standards zu setzen, die sowohl der Wirtschaft als auch den Menschen zugutekommen. Etwa durch ein gemeinsames Instrumentarium für eine nachhaltige Wirtschaft, mit hohen Umwelt- und Sozialstandards.

Es ist ein eigenartiges Vorurteil, dass die USA nur „schlechte“ Standards – von Chlorhühnern bis Genmais – durchsetzen wollen, so als hätten amerikanische Konsumenten keine Sensibilität. Und es lässt auch auf Vorurteile schließen, wenn ein großer Teil der Bevölkerung davon ausgeht, dass Brüssel von Washington sowieso über den Tisch gezogen wird. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es reichlich Motivation für ein gut gemachtes Abkommen gibt. Denn es könnte am Ende mehr Fairness für europäische Wirtschaftssektoren bringen, die derzeit von den USA dominiert werden – etwa Internetdienste.

Natürlich gibt es gerechtfertigte Kritik an Details des Abkommens. Ein Schutz von Investoren, der hinter verschlossenen Türen von privaten Schiedsgerichten verhandelt werden soll, lässt darauf schließen, dass internationale Anwaltskanzleien ein ihnen genehmes Geschäftsmodell durchsetzen möchten. Dass internationale Investoren aber Rechtssicherheit im Fall einer Benachteiligung gegenüber inländischen Konkurrenten brauchen, ist vielleicht jedem verständlich. Mit beiderseitigem Willen wäre auch hier eine glaubwürdige Lösung möglich.


Heimischen TTIP-Gegnern sollte zu denken geben, dass Dänen, Finnen, Spanier oder Esten aus ganz unterschiedlichen Gründen das Abkommen mit deutlicher Mehrheit befürworten. In Schweden haben Gewerkschaften und Industrie eine gemeinsame Position zu TTIP erarbeitet. Sie enthält ein Bekenntnis zum Schutz nationaler Rechtssetzung etwa bei Gesundheit, Umwelt oder Sicherheit. Sie umfasst Maßnahmen gegen Protektionismus, eine Forderung nach Rechtsschutz für Investoren, aber auch nach Schutz geistigen Eigentums. Wichtige Interessenvertretungen in Schweden wollen das Handelsabkommen mit den USA positiv gestalten. Zum Unterschied zur heimischen Arbeiterkammer verteufeln sie es nicht. Deren klares Nein ist zwar ein Statement, aber da es so früh kommt, auch eine Bankrotterklärung der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten.

Ohne TTIP werden die USA und die EU so weitermachen wie bisher. Allein das wäre traurig. Beide Seiten würden sich aber vor allem eine Chance nehmen, die unaufhaltbare Globalisierung nach ihren Vorstellungen zu formen.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2015)

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