Wichtig ist, was unser Leben bestimmt

Je mehr Möglichkeiten wir haben, desto schwieriger wird die Wahl. Umso dringlicher wird es, den Fokus auf die richtigen Dinge zu legen.

Leben heißt wählen, jedenfalls die Wahl haben, zwischen verschiedenen Möglichkeiten, besseren und schlechteren. Oft ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, zu bestimmen, was besser und was schlechter ist. Dennoch müssen wir Farbe bekennen. Und auch wenn wir das nicht tun, treffen wir durch bloßes Nichtstun eine Wahl. Ob dann alles so bleibt, wie es ist, oder ob wir nicht etwas ändern müssen, damit es so bleibt, ist eine andere Frage.

Die Wahl haben und auch wählen können, ja, müssen, das gilt für jede und jeden von uns, es gilt für das, was wir tun, genauso wie für das, womit wir uns gedanklich beschäftigen.

Je mehr Möglichkeiten wir haben, desto schwerer fällt es uns, eine davon zu wählen. Umso wichtiger ist es, sich darüber klar zu werden, wie wir unsere Wahl treffen, und sich zu fragen, was unsere Prioritäten sind. Sind es immer die wichtigen Dinge, auf die wir unseren Fokus richten? Oder sind es eher Nebensächlichkeiten, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken? Verzetteln wir uns? Und wenn wir das tun, warum tun wir es? Ist es Bequemlichkeit, weil wir uns leicht und nur zu gern ablenken (lassen)? Oder sind es Unwissenheit und fehlende Bereitschaft, sich mit einem Thema ernsthaft zu beschäftigen? Denn sich zu informieren und mit der Information kritisch auseinanderzusetzen bedeutet einen Aufwand und kann Arbeit sein oder, wie es abwertend heißt, in Arbeit ausarten. Und Zeit, Aufnahmefähigkeit und Aufnahmebereitschaft sind beschränkt.

Frage ohne einfache Antwort.  Wenn wir uns aber den wirklich wichtigen Dingen zuwenden sollen, dann müssen wir wissen, was wichtig ist. Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. So viel lässt sich vielleicht sagen: Wichtig ist, was unser Leben bestimmt, im privaten wie im öffentlichen Bereich.

Was bestimmt unser Leben? Ebenfalls eine schwierige Frage. Wenn man darüber nachdenkt, wird man sagen können, dass es im privaten Bereich unsere Fähigkeiten, unsere Wünsche und Ziele sind, die unser Leben bestimmen. Das ist jedenfalls das Ideal eines selbstbestimmten Lebens. Im wirklichen Leben sind es aber oft Umstände, die wir nicht oder nur sehr schwer beeinflussen können.

Und im öffentlichen Bereich? Im öffentlichen Bereich ist es die Politik, die gestalten kann, zu gestalten hat und das auch tut, wenn auch teilweise unzureichend, teilweise überschießend. Die Auswirkungen politischer Entscheidungen spüren wir manchmal stärker, manchmal schwächer. Besonders stark sind sie spürbar, wenn sie Bereiche betreffen, in denen nachhaltige Lösungen notwendig sind. Das ist nicht nur die Umwelt, das sind genauso die Staatsfinanzen, das gesellschaftliche Klima und hier vor allem der Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit.

Das Gewicht der Themen. Wie die Politik die Vorteile und die Nachteile von möglichen Lösungen bewertet, welchen Lösungen sie aus welchen Gründen den Vorzug gibt, ob sie das Gesamte sieht oder nur Einzelinteressen wahrt, welche Entscheidungen sie letztlich trifft, bestimmt nicht nur unser Leben, sondern auch das nachfolgender Generationen. Umso größer ist die Verantwortung der Entscheidungsträger, und umso deutlicher sollte ihr Verantwortungsgefühl ausgeprägt sein.

Wenn das Gewicht von Themen auf diese Weise bestimmt wird, können wir dann guten Gewissens sagen, wir brauchen nicht weiter darüber nachzudenken, denn es sind die wichtigen Dinge, auf die wir unseren Fokus richten? Diese Jubiläumsausgabe der „Presse am Sonntag“ maßt sich nicht an, mit Ja oder Nein auf die Frage zu antworten, ob dies tatsächlich zutrifft. Sie nähert sich ihr, indem sie den heiklen Punkt mit mehreren Fragen umkreist: Was ist wichtig? Was wird verdrängt? Was steckt dahinter? Stimmt es? Warum lernen wir? Woran (und warum) glauben wir? Was ist Recht? Wie leben wir?

Damit will die Jubiläumsausgabe dazu beitragen, der Antwort ein Stück näherzukommen. Jedenfalls aber will sie dazu anregen, dass sich jede und jeder von uns die Frage überhaupt stellt und dass wir uns auch als Gesellschaft fragen, ob wir den Fokus auf die wichtigen und damit auf die richtigen Dinge richten.

chefredaktion@diepresse.com

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