Die Balance zwischen Orwell und dem „Nichts-zu-Verbergen“

Das polizeiliche Staatsschutzgesetz bringt neue Möglichkeiten im Kampf gegen Terroristen – und enthält einige Sicherheitsmaßnahmen gegen Missbrauch.

Beim Ruf nach mehr Befugnissen für Sicherheitsbehörden gibt es bekanntlich zwei große Denkschulen. Das eine Lager kramt ein „Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich auch nicht zu fürchten“ aus der Schatzkiste der Totschlagargumente hervor. Das andere beschwört in schlafwandlerischer Reflexhaftigkeit das Herannahen eines Orwell'schen Überwachungsstaates. Im breiten Korridor zwischen diesen Extremen bewegt sich das polizeiliche Staatsschutzgesetz, das nun in die Begutachtungsphase geschickt wird. Und das unter anderem auch das Problem sogenannter Foreign Fighters thematisiert – also Menschen aus Österreich, die im Ausland an Kampfhandlungen teilnehmen und womöglich irgendwann wieder zurück ins Land kommen.

Nicht immer ist der Fall auf den ersten Blick so eindeutig wie bei jenem 16-jährigen Wiener, der sich der Terrormiliz IS angeschlossen und sich vor wenigen Tagen den österreichischen Behörden gestellt hat. Immerhin hat er auf Facebook für den IS geworden und war sogar in einem Propagandavideo zu sehen. Bei anderen Rückkehrern – die Verfassungsschützer sprechen von mehr als 60 – wird sich die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation oder gar die Teilnahme an Kämpfen nicht so einfach nachweisen lassen, wenn sie es nicht selbst zugeben. Und gerade in Syrien oder im Irak gibt es keine staatlichen Strukturen, mit denen der österreichische Staatsschutz in Fällen wie diesen sinnvoll zusammenarbeiten könnte. Den ersten populistischen Reflex, wie er vor allem vonseiten der FPÖ aufblitzt, sollte man gleich einmal entsprechend würdigen: Eine präventive Internierung bei bloßem Verdacht oder auch eine Beweislastumkehr, dass nämlich ein Verdächtiger seine Unschuld beweisen muss, wären unzulässige Eingriffe in Grundrechte.
Dass derartige Terrorverdächtige im Auge behalten werden müssen, sollte über alle Parteigrenzen hinweg unbestritten sein. Von ihnen geht ein Gefährdungspotenzial aus, das die Behörden nicht ignorieren können. Etwa indem sie von hier aus weitere Mitstreiter für ihren Kampf rekrutieren. Aber auch sogenannte „Schläfer“, die ein unauffälliges Leben führen, um zu einem späteren Zeitpunkt zuzuschlagen, muss der Staat als Bedrohung wahrnehmen. Doch kämpft das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) mit dem Problem, dass das gesetzliche Instrumentarium oft nicht ausreicht, um etwas gegen sie ausrichten zu können.

So ist es etwa noch nicht möglich, dass vom BVT erhobene Daten mit jenen der Landesämter für Verfassungsschutz zusammengeführt werden. Und: Sofern sich nach einer gewissen Zeit keine aktuelle Gefahrenlage erhärtet, müssten etwa sämtliche personenbezogene Daten einer verdächtigen Person bei der Behörde gelöscht werden. Derzeit liegt die Grenze bei neun Monaten – sie soll auf zwei Jahre erhöht und bei Bedarf noch verlängert werden können. Aber das, so der Entwurf, nur dann, wenn der Rechtsschutzbeauftragte dem zustimmt. Eine Erleichterung für die Behörden, die damit auch längerfristig Terrorverdächtige überwachen können. Von Zuständen à la Orwell ist die geplante Regelung aus dieser Sicht noch recht weit entfernt.

Und doch muss man wachsam sein. Immerhin bewegt sich der Gesetzgeber auf gefährlichem Terrain, wenn eine Person auf bloßen Verdacht hin derart lang und intensiv überwacht werden und auf ihre Daten zugegriffen werden kann. Denn in der Abwägung zwischen legitimer Gefahrenabwehr und Grundrechten wie Meinungsfreiheit und Privatsphäre könnte allzu leicht eine Schieflage entstehen. Immerhin, mit dem stärkeren Einbinden des Rechtsschutzbeauftragten hat man bereits einen wichtigen Kontrapunkt gesetzt. Auch müssen Betroffene nach Ende der Überwachung über Grund, Art, Dauer und Rechtsgrundlage der Maßnahme informiert werden.

Überlegenswert wäre eine zusätzliche Kontrollmöglichkeit durch das Parlament – damit könnte auch der letzte Verdacht ausgeschaltet werden, dass Maßnahmen unter dem Mantel der Amtsverschwiegenheit im Dunkeln bleiben.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2015)

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