Ohne Briten kann die EU kein Akteur auf der Weltbühne sein

British PM Cameron speaks during a campaign visit in Frinton-on-Sea
British PM Cameron speaks during a campaign visit in Frinton-on-Sea(c) REUTERS
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In Brüssel sollte sich niemand zu früh freuen: Wenn Cameron die Wahl verliert, ist die Abstimmung über einen EU-Austritt Großbritanniens nur aufgeschoben.

David Cameron hat sich in den vergangenen fünf Jahren keine Freunde in der EU gemacht. Von europäischer Solidarität hält der britische Premier im Zweifelsfall wenig. Ob bei Budgetfragen, der Freizügigkeit von Personen oder zuletzt auch bei der Aufstockung von EU-Mitteln zur Rettung von Flüchtlingen – einer legt sich fast immer quer: David Cameron. Aus seiner Rosinenpickerei und Obstruktion macht der Tory-Chef kein Geheimnis. Er stellt sich dabei in die Auslage, damit man seine Auftritte als Gottseibeiuns in Brüssel ja jenseits des Ärmelkanals wahrnimmt. Für den Karlspreis wird Cameron vermutlich nie nominiert werden, doch Stachel im Fleisch der EU ist er vermutlich weniger aus innerer Überzeugung als vielmehr aus innenpolitischem Kalkül. Ihm sitzen nicht nur die Europaskeptiker seiner eigenen Partei im Nacken, sondern zunehmend die United Kingdom Independence Party (UKIP).

Um sie zu bekämpfen, schlug Cameron eine Strategie ein, mit der schon viele vor ihm quer durch Europa im Umgang mit Rechtspopulisten gescheitert sind. Er übernahm die immigrationsfeindlichen Wagenburg-Positionen der EU-Hasser, da er glaubte, ihnen so das Wasser abgraben zu können, erreichte damit aber nur das Gegenteil. Die Erfolgswelle der UKIP türmte sich noch höher auf, sobald ihr Diskurs mit Unterstützung von „Schleusenwärter“ Cameron im Mainstream angelangt war.

Und jetzt hat der Premier den Salat: Vor der Parlamentswahl am 7.Mai liegt die UKIP in Umfragen bei 13 Prozent. Viele Sitze wird sie angesichts des Mehrheitswahlrechts nicht ergattern, doch genug, um die Tories zu schwächen. Eine Alleinregierung wird sich für Cameron, wie schon vor fünf Jahren, ziemlich sicher nicht ausgehen, möglicherweise nicht einmal eine mehrheitsfähige Koalition – die liberalen Juniorpartner dürften nicht genug Stimmen auf die Waage bringen. Ein Dreierbund mit der UKIP scheint ausgeschlossen.

Umgekehrt könnte es auch für den lang unterschätzten Labour-Chef Ed Miliband schwierig werden, eine Regierungsallianz zu bilden, selbst wenn er als Erster durchs Ziel ginge. Denn sogar im Mutterland des Mehrheitswahlrechts zersplittert das Parteiensystem. Auf dem Vormarsch sind die schottischen Nationalisten (SNP), die zur drittstärksten Kraft in Großbritannien aufsteigen könnten, obwohl sie nur in ihrer engeren Heimat antreten. Labour nämlich hat in ihren einstigen schottischen Hochburgen nichts mehr zu melden. Daraus könnte sich eine überaus pikante Konstellation ergeben: Wenn Miliband britischer Premier werden will, wäre er vermutlich auf Unterstützung der schottischen Nationalisten angewiesen.

Der polemische (und übertriebene) Hinweis auf dieses Szenario, auf ein bevorstehendes Bündnis zweier spendierfreudiger Parteien, die Großbritannien ins finanzielle und sezessionistische Chaos führen könnten, ist momentan Camerons zugkräftigster Wahlkampfschlager. Mit seinen wirtschaftlichen Erfolgen (fast drei Prozent Wachstum!) punktet der Konservative indes kaum, zu wenig spüren Normalverbraucher offenbar davon.


Cameron, der neben einem Urvertrauen in die Weisheit des britischen Volks auch eine Vorliebe für politische Hasardspiele zu haben scheint, hat den Briten für den Fall seiner Wiederwahl ein Referendum über den Verbleib in der EU versprochen. Allein deshalb hoffen nicht wenige auf einen Sieg Milibands. Sie mögen sich nicht täuschen. Denn in der Opposition gewännen bei den Konservativen wohl die Europaskeptiker die Oberhand und setzten erst recht einen EU-Austritt auf ihre Agenda, den sie nach der nächsten Wahl womöglich auch durchzögen. Cameron wenigstens will erklärtermaßen im europäischen Klub ausharren, sofern die EU sich da und dort reformiert.

Wer jedoch, genervt von Camerons Brüsseler Soloeinlagen, glaubt, die Union wäre ohne die Briten besser dran, der irrt. Europa braucht Großbritannien – als zweitgrößte Wirtschaftsmacht, als liberales Gegengewicht zum etatistischen Frankreich, als Mutterland der Demokratie und als eines der wenigen Mitglieder, das zu geostrategischem Denken fähig ist (wenngleich Cameron diese Tradition kaum pflegt). Auch wenn die Briten in der EU oft auf der Bremse stehen: Ohne sie wird die EU nie ein ernst zu nehmender Akteur auf der Weltbühne sein.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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