Wie Griechenland endgültig verspielt wird

Die dringend benötigten Steuereinnahmen liegen weit unter Plan. Vor allem Wohlhabende freut die Finanzpolitik der Linkspopulisten. Wenn der Zug an die Wand fährt, sollte man vorher abspringen.

In Athen jubeln die Multimillionäre. Da freut sich etwa der griechisch-russische Mittelklasse-Oligarch Ivan Savvidis, dass er sein liebstes Hobby uneingeschränkt weiter betreiben kann. Der prestigeträchtige Fußballklub Paok Saloniki erspart sich dank einer neuen „Entlastung“ der griechischen Syriza-Regierung rund 20Millionen Euro Verzugszinsen und Strafgebühren. „Befreit von den Fesseln der Schulden werden wir den Klub jetzt auf den Weg unserer Träume führen können.“ Athen hat nämlich entschieden, die hohen Steuerrückstände zu stunden und gemütlich in Tranchen zurückzuzahlen. Es war die vergangene konservative Regierung, die sich von der Troika das harte Vorgehen gegen die reichsten Steuersünder abringen ließ. Nun wurde es wieder aufgehoben. Von der Regierung Alexis Tsipras. Athen im Frühling 2015.

Was da zuletzt passiert ist und weiterhin geschieht, widerspricht jeder Logik, stellt einen Bruch von (Wahl-)Versprechen dar und ist eine absurde Provokation an die helfenden Länder und Steuerzahler im Euroraum. Griechenland sollte sich wieder mit der Drachme anfreunden – inklusive radikaler Abwertung der Währung gegenüber Euro und Dollar, Schuldenschnitts und möglichen Staatsbankrotts. Die linkspopulistische Regierung, der die halbe europäische Sozialdemokratie – auch Werner Faymann – auf die Schultern klopft, nimmt die Reichen in Griechenland nicht in die Pflicht. Sie entlastet sie, sie sorgt für ein Klima, das offenbar als Anzeichen einer Steueramnestie verstanden wird. Mehr als eine Milliarde an Steuereinnahmen fehlen im ersten Quartal. Laut „Handelsblatt“ sind es im April allein 400Millionen Euro, die da eigentlich mehr budgetiert waren. Genaue Zahlen fehlen. Auch beim Gipfel in Litauen blieben die Griechen vage. Noch eine Schätzung: Die Griechen schulden ihrem eigenen Staat 76Milliarden Euro. Diese einzutreiben wäre die halbe Miete bei der Sanierung des finanziellen Notstandsgebiets. Von der dringenden Reform des vergleichsweise noch immer großzügigen Pensionswesens oder Privatisierungen ist in Athen ohnehin keine Rede. Von der Gegenfinanzierung neuer Sozialleistungen fehlt jede Spur.


Kalkuliertes Chaos. Per Dekret hat Athen öffentliche Einrichtungen und Behörden aufgefordert, „vorübergehend“ Reserven an die Zentralbank zu überweisen. Damit will die Regierung dringend benötigte Geldmittel für die Zahlung von drei Milliarden Euro für die kommenden zwei Wochen zusammenkratzen. Der Plan stößt vor allem in den Kommunen auf Widerstand. Sie fürchten zu Recht, was passieren könnte und für den griechischen Premier vielleicht auch Kalkül ist: Lehrer, Ärzte, Gemeindebedienstete und Müllarbeiter könnten über Nacht nicht bezahlt werden. Das damit sofort ausbrechende Chaos auf den Straßen und bei den Bürgern würde für heftige Proteste, die Bilder davon für Druck auf Brüssel sorgen.

Das Land steht vor umfangreichen Zahlungsverpflichtungen. Die Aufstellung laut „Handelsblatt“: Ende April muss der Finanzminister 1,7 Milliarden Euro für Renten und Gehälter aufbringen. Am 1.Mai erwartet der IWF eine Zahlung von 200 Millionen Euro. Am 8. und 15.Mai werden Geldmarktpapiere von jeweils 1,4Milliarden zur Refinanzierung fällig. Am 12.Mai muss Athen weitere 775Millionen an den IWF überweisen.

In den Finanzministerien, den Nationalbanken, den Regierungen, in Frankfurt und Brüssel bereitet man sich dieser Tage ziemlich intensiv auf den Ausstieg der Griechen aus dem Euro vor. Wie kann man die Trennung ohne Bankrun, ohne Chaos auf den Finanzmärkten durchführen? Die Antwort darauf wird entscheiden, wie es dem Kontinent in den nächsten Monaten und Jahren geht.

Griechenlands Finanzminister beklagte sich nach der emotionalen und offenbar harten Runde der Euro-Finanzminister in Riga, dass er ständig missverstanden werde. Er möchte über Politik reden, die anderen nur über Zahlen.

Zu Recht. Es gibt keine Politik in Athen.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2015)

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