Zentral ist vor allem die Aufregung

Die Zentralmatura ist auch so etwas wie eine Prüfung über die Reformreife unserer Gesellschaft. Es schaut so aus, als müsste sie noch einmal antreten.

Bis kommenden Dienstag die ersten Prüflinge zur heftig diskutierten neuen Reifeprüfung antreten, war vor allem eines zentral: die Aufregung um diese wichtige Bildungsreform. Ein abgestürzter Server da, unklare Rechenbeispiele dort, geleakte Probeaufgaben hier, unzureichende Betreuungskapazitäten für die neue vorwissenschaftliche Arbeit überall. Man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass es viele der in das Projekt Zentralmatura involvierten Personen (Lehrer, Eltern, Schüler, Politiker) nicht ungern sähen, wenn sich die einheitliche Matura schlussendlich als Flop erwiese.

Insofern ist die Zentralmatura in erster Linie einmal auch als politisch-gesellschaftliche Reifeprüfung zu verstehen. Inwieweit nämlich nehmen die von Reformen betroffenen Bürger Unannehmlichkeiten und Pannen in der unvermeidlichen Umstellungsphase einer Reform in Kauf? Sieht man da die Reaktion auf die neue Matura als Messlatte, schaut es für weitere dringend notwendige Änderungen im Bildungssystem, aber auch für andere Großthemen wie Gesundheit und Verwaltung gar nicht gut aus. Natürlich muss die Politik anstehende Neuerungen ordentlich vorbereiten und vor allem auch gut erklären, da gibt es bei der verantwortlichen Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek und dem ihr angegliederten Pannen-BIFIE sicher noch Luft nach oben. Umsetzen aber können die Reform letztlich nur die Betroffenen selbst.

Und natürlich ist die Zentralmatura sinnvoll. Wie denn sonst soll Autonomie und damit ein differenziertes, auf die Begabungen und Neigungen der Schüler eingehendes Unterrichten möglich sein, wenn man nicht ein unter allen Umständen zu erreichendes Bildungsziel außer Streit stellt? Ist dieses Ziel einmal klar, stehen viele Wege offen, auch tatsächlich dorthin zu gelangen. Das bringt Wahlfreiheit, Kreativität, Wettbewerb; und damit bessere, andere – ja – mehr Bildung.

All jenen, die sich nun vor einer Nivellierung nach unten fürchten, muss man die Frage stellen: Ja, wie war es denn bisher? War das Niveau gut? Mittel? Oder gar schlecht? Da waren an ein und derselben Schule Noten im selben Gegenstand unterschiedlich viel wert, weil ein Lehrer viel, sein Kollege aber wenig verlangt hat. Da hat ein Professor seinen Schützlingen die Maturafragen vorab verraten, ein anderer war nicht einmal bereit, den Stoff vernünftig einzugrenzen. Gerecht? Gutes Niveau? Schlechtes? Wer soll das beantworten? Meist tun es übrigens ungefragt jene, die ihre eigene Matura im Brustton der Überzeugung im Nachhinein als schwierig qualifizieren.

Wenn aber in Zukunft die Latte für alle gleich hoch liegt, wird zumindest einmal ein einheitlicher Standard festgelegt. Natürlich besteht zu Beginn die Gefahr, dass einem zu schlechten Ergebnis abgeholfen wird, indem man am Beurteilungsschlüssel dreht. Bisher konnte das aber der korrigierende Lehrer in seinem Kammerl quasi nach dem Zweiaugenprinzip (mehr oder weniger) mit sich selbst ausmachen. Gelingt es einem Lehrer aber in Zukunft nicht, seinen Schülern in vier Jahren Oberstufe einen klar vorgegebenen Stoff zu vermitteln, anderen Kollegen aber schon, wird es erstmals auch möglich, die Qualität der Arbeit von Lehrenden zu vergleichen. Und guten Lehrern, die mit ihren Schülern den vorgegebenen Stoff schon in kürzerer Zeit bewältigt haben, bleiben zusätzliche Freiräume. Das modulare System in den Oberstufen (also Angebot von frei wählbaren Semesterkursen zusätzlich zum Pflichtprogramm) macht es möglich, solche Freiräume sinnvoll zu füllen.

Ein gutes Beispiel, wie Lernen auch aussehen kann, ist die vorwissenschaftliche Arbeit. Diese kleine Seminararbeit wird von Mitte der siebenten Klasse bis zu Matura erstellt, dann vor einer Kommission „verteidigt“ und ersetzt ein mündliches Maturaprüfungsfach. Das dabei Erarbeitete wird noch präsent sein, wenn kurzfristig angestrebertes Wissen für eine Mündliche längst vergessen ist – oft schon während der Maturareise.

Weil die wirklich wichtigen Dinge schon vor der Matura passieren. Oder eben danach. Das könnte auch so eine zentrale Erkenntnis sein.

E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2015)

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