Das Verhältnis zu den Befreiern ist noch immer verkrampft

Britische und franzoesische Soldaten feiern das Ende des Zweiten Weltkriegs Paris France 8 mai 19
Britische und franzoesische Soldaten feiern das Ende des Zweiten Weltkriegs Paris France 8 mai 19(c) imago/Leemage
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In der veröffentlichten Meinung herrscht mitunter kollektive Amnesie. Der Antiamerikanismus richtet sich gegen jene, die unseren Wohlstand ermöglichten.

Es sind viele Gedenktage und historische Jubiläen, die Europa und Österreich in diesen Monaten begehen. Zwischen den Jahrestagen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs im vergangenen Jahr und dem Ende des Zweiten, zwischen Staatsvertragsfeier und Gedenken an die Befreiung der Konzentrationslager, zwischen Mahnungen, Schuldgefühlen, Stolz und dem Ziehen historischer Parallelen trübt sich die Botschaft mitunter. Am heutigen 8.Mai 2015 ist sie aber klar. Auch wenn es die Zivilbevölkerung in Ostösterreich zum Teil anders erlebt hat, der 8.Mai 1945 war der Tag der Befreiung. Und es war der Sieg über den Feind unserer Zivilisation.

Die Alliierten haben Österreich vor NS-Terror und -Regime befreit und uns zehn Jahre später als unabhängigen Staat in hundertprozentige Freiheit entlassen. In Geschichte wie Politik ist Dankbarkeit keine Kategorie, aber es ist mehr als nur angebracht, sich zu erinnern, dass es die Soldaten und Steuerzahler der vier von den Nazis und deren Verbündeten attackierten Länder waren, die den Österreichern die Chance gaben, eine echte Nation zu werden und später den Grundstein für das zu legen, was wir als Wiederaufbau und Wirtschaftswunder gern als reine Eigenleistung verkünden. (Der hohe Wohlstand wird dieser Tage zum Teil faul und fahrlässig aufs Spiel gesetzt.)

Unser Verhältnis zu den Siegermächten, wie die Geschichtsbuchautoren sie genannt haben, ist im Gegenteil alles andere als problemlos. Gerade den USA, die die Wirtschaft mit dem Marshallplan mehr stimulierten als mancher Brüsseler Investitionsplan, schlug auch schon vor NSA-Affären und Menschenrechtsverletzungen in Guantánamo in der veröffentlichten Meinung enorme Antipathie entgegen. Die fast kollektive historische Amnesie beim Thema Befreier von jenseits des Atlantiks wurde ab 1968 von den fröhlichen Studentenpartys der revolutionär beschwingten Intelligenzija zum allgemeinen Geschichtsbild an Unis und Schulen. Das Misstrauen gegenüber Paris und die bilaterale Nichtbeziehung mit Frankreich passen ebenso in dieses Bild wie die kollektive Ängstlichkeit vor einem wirtschaftsliberalen London. Kommentatoren betrauern zwar gern einen potenziellen Abschied der Griechen aus dem Euro und beschwören die Einheit Europas. Wie verheerend es für Wirtschaft, Selbstverständnis und Grundidee der Europäische Union wäre, wenn ausgerechnet Kernmitglied Großbritannien fehlte, liest man weit seltener. Ohne Großbritannien fehlt der Union der wichtigste Finanzplatz, und sie würde endgültig zum Walt-Disney-Wohlfahrtsstaat. Ohne Großbritannien würde auch der ständig kritische Geist fehlen, den jede große Organisation braucht. Die Gefahr, dass Brüssel endgültig zur Hauptstadt der Selbstbeweihräucherung verkommt, wäre enorm.

Wesentlicher Bestandteil Europas ist eben auch Russland. Nach 1945 wurde die Sowjetarmee im Vergleich zu den alliierten Kräften deutlicher als feindlicher Besatzer wahrgenommen. Viele Österreicher fühlten sich bedroht. Und tatsächlich stellte Moskau die größte Bedrohung für das politisch und militärisch nie wirklich neutrale Österreich dar. Wäre der Kalte Krieg heiß geworden, wären die Sowjets in Österreich wieder einmarschiert – dafür gab es Pläne. Auf politischer Ebene aber kuschelte die österreichische Staatsführung nach 1945 stets mit Moskau. Nach Glasnost, Gorbatschow und den Bushs wurde die Beziehung zum neuen Russland noch besser. Bis heute scheuen sich Kanzler und Kollegen, allzu schroff auf die Aggression in der Ukraine zu reagieren. Das ist prinzipiell ganz gut so, auch, wenn es eher auf Druck der Wirtschaftskammer, aus EU-Skepsis und auf „Krone“-Zuruf geschieht, denn geopolitischer Strategie oder historischer Verpflichtung folgend. Die kriegerischen Akte in der Ukraine zeigen wie schon der Zerfall Jugoslawiens, dass der II.Weltkrieg nicht der letzte Krieg in Europa war.

Österreich müsste sich 70 Jahre nach Ende des Mordens zu einer sicherheitspolitischen Position durchringen, wie das Land mit den vier von damals und den anderen EU-Mitgliedern umgeht. Heute gedenken Kanzler und Regierung des 8.Mai. Vielleicht folgt dem Gedenken das Denken...

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2015)

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