Die Insel der Seligen und ihre – notwendigen – Grenzen

Die Flüchtlingsproblematik, heruntergebrochen auf Österreich: Auch hier wird ein doppeltes Spiel gespielt. Dabei wäre Augenmaß besser als Pathos.

Auch die ÖVP spielt ein wenig ein doppeltes Spiel. Während Innenministerin Johanna Mikl-Leitner Fakten schafft und Zelte für Flüchtlinge aufstellen lässt, beschwört Parteichef Reinhold Mitterlehner in Sonntagsreden – wie beim Festakt 60 Jahre Staatsvertrag – den „Spirit“ von 1956, den man heute im Umgang mit den Flüchtlingen wieder brauche. Damals hatten die Österreicher die vor den Sowjets flüchtenden Ungarn mit offenen Armen empfangen.

Vom „Spirit“ von 1956 ist nun tatsächlich wenig zu merken. Allerdings: Die Situation ist auch schwer vergleichbar. War es damals eine Ausnahmesituation, so sind Flüchtlingsströme, insbesondere jene über das Mittelmeer, heute Alltag. Der Zuwanderung in Maßen steht heute eine Zuwanderung in Massen gegenüber.

Und es sind eben nicht nur Flüchtlinge, die in ihrer Heimat verfolgt werden und somit ein Recht auf Asyl haben. Sondern auch solche, die – wer kann es ihnen verdenken? – der Armut und Perspektivlosigkeit in ihren Ländern entkommen wollen. Wirtschaftsflüchtling ist zwar mittlerweile auch so ein Wort für den Index politisch korrekter Sprache, aber ein besseres wurde noch nicht erfunden.

Die Asylstatistik verdeutlicht das auch: Menschen aus Syrien bekommen zu einem großen Teil Asyl. Antragsteller aus dem Kosovo, Marokko oder Algerien hingegen nicht. Erst zu Beginn dieses Jahres hatten sich tausende Kosovaren nach Österreich und Deutschland aufgemacht, weil ihnen suggeriert wurde, sie würden hier Aufnahme finden. Die österreichische Regierung musste – in Kooperation mit den kosovarischen Behörden – sogar Inserate schalten, um den Irrtum aufzuklären: Aus dem Kosovo zu sein reicht als Asylgrund mittlerweile nicht mehr aus.

Zum doppelten Spiel in der österreichischen Politik gehört auch jenes zwischen Bund und Ländern. Die Länder waren schon in der Vergangenheit überaus lasch, ihre Aufnahmequoten einzuhalten. Auch jetzt ließen sie die Dinge treiben. Das Innenministerium stand mit den Flüchtlingen allein da. „Würden diese Zelte nicht stehen, würden diese Menschen auf der Straße stehen“, sagt die Innenministerin. Auch wenn nun immer wieder Einzelpersonen hervortreten und sagen, sie hätten Quartiere, ihre Angebote seien aber nicht angenommen worden, ist man geneigt, Johanna Mikl-Leitner zu glauben, die gemeint hat: Beim Krisengipfel am Freitag hätte von jenen Quartieren, die etwa von der Caritas vorschlagen worden waren, kein einziges verifiziert werden können, das ohne Widerstand von Ländern oder Bürgermeistern sofort beziehbar gewesen wäre.

Auch die Öffnung von Kasernen wird, wie Verteidigungsminister Gerald Klug gestern kundtat, weiter geprüft. Der Linzer SPÖ-Bürgermeister kündigte gar Widerstand gegen eine Öffnung einer Linzer Kaserne an. Auch die SPÖ spielt hier ein doppeltes Spiel.

Und es ist ja auch nicht einfach. Zwar hat ein Land wie Österreich in der Aufnahme von Flüchtlingen schon noch Luft nach oben, aber eben auch nicht unbegrenzt. Schon jetzt ist Österreich unter jenen Ländern Europas, die die meisten Asylwerber aufnehmen. Und das ist auch richtig so. Wer Anrecht auf Asyl hat, soll Asyl bekommen.

Darüber hinaus muss eine verantwortungsbewusste Regierung aber eben auch auf die soziale Balance achten. Eine großzügige Aufnahme von Menschen über die Asylverpflichtung hinaus mag emotional betrachtet sympathisch sein. Rational betrachtet gehen damit aber größere Schwierigkeiten einher: für den sozialen Frieden, für die Sozialsysteme. Integration vor Neuzuwanderung war das Leitmotiv der Integrationspolitik der vergangenen Jahre. Richtigerweise. Ghettos und soziale Unruhen wie in anderen europäischen Staaten – von Frankreich bis Schweden – gibt es in Österreich nicht.

Eine Politik der offenen Tür kann weder im Sinn der bereits hier Lebenden noch potenzieller Zuwanderer sein, die mit falschen Versprechen auf eine gefährliche Reise gelockt werden. Europa muss seine Grenzen mit Augenmaß sichern – ohne den Blick auf jene zu verlieren, die wirklich verfolgt werden.

E-Mails an:oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.