Was Athen unter Politik versteht: Viel Geld, wenige Verpflichtungen

„Money for nothing and chicks for free“ – nichts anderes wünscht sich der griechische Regierungschef, Alexis Tsipras, von seinen europäischen Partnern.

Es ist genau 30 Jahre her, dass die britische Band Dire Straits ihren wohl größten Hit landete: Am 24. Juni 1985 veröffentlichte das Quartett rund um Sänger und Gitarrist Mark Knopfler den Song „Money for nothing“, in dem es um den weitverbreiteten Irrglauben geht, Leistung und Entlohnung würden im Showbusiness in umgekehrt proportionalem Verhältnis zueinander stehen. Dass das Lied in die Annalen der Musikgeschichte einging, hat nicht nur mit den griffigen Gitarrenriffs zu tun, sondern auch mit der Tatsache, dass seine Kernaussage von zeitloser Schönheit ist und auch für andere Bereiche des menschlichen Miteinander gilt – beispielsweise für die Europapolitik. Wer die Irrungen und Wendungen in der griechischen Schuldenkrise mitverfolgt hat, kann nur zum Schluss kommen, dass sich die Wünsche der Links-rechts-Regierung in Athen an ihre Geldgeber wunderbar mit dem Refrain des eingangs erwähnten Popsongs zusammenfassen lassen: Alexis Tsipras will nämlich nichts weniger als „Money for nothing and chicks for free“.

Während Bundeskanzler Werner Faymann gestern in Athen versucht hat zu vermitteln, gehen in Luxemburg die Verhandlungen der Finanzminister heute in ihre nächste, gefühlte tausendste Runde. Der Rest der EU will den Griechen nur dann helfen, wenn diese ihre Zusagen erfüllen und sich zu weiteren Reformen verpflichten. Tsipras und sein Finanzminister, Yanis Varoufakis, wiederum pochen auf eine „politische Lösung“ der Angelegenheit. Was damit gemeint ist? Die Regierungschefs der Union sollen die Kalkulationen ihrer Finanzexperten zerreißen, alle Hoffnung auf eine Rückzahlung der bisher geleisteten Hilfszahlungen fahren lassen und weitere Milliarden nach Athen überweisen, auf dass das europäische Friedensprojekt keine Kratzer bekomme. Das Verständnis der linkspopulistischen griechischen Führungsriege von Politik lässt sich so zusammenfassen: möglichst viel Geld bei möglichst wenigen Verpflichtungen.

An dieser Haltung dürfte sich auch Faymann die Zähne ausbeißen. Und sie erklärt auch die Abfolge von Enttäuschungen und Misserfolgen der vergangenen Monate. Demnach hätten die Spieltheoretiker in Athen verloren, würden sie sich auf konkrete, mit Zahlen unterlegte Zusagen festnageln lassen. Stattdessen scheint es ihnen darum zu gehen, die Eurokrise so weit auf die Spitze zu treiben, bis die Gegenseite die Nerven wegwirft und einen Blankoscheck über den Verhandlungstisch schiebt. Blankoscheck deshalb, weil in der EU unsaubere Kompromisse schnell zur Norm werden – man denke etwa an den Bruch des Stabilitätspakts durch Deutschland und Frankreich vor mehr als zehn Jahren.


Die Taktik der Griechen ist aus mindestens drei Gründen problematisch. Erstens, weil ihre Winkelzüge das Vertrauen der Partner zerrüttet haben. Zweitens, weil ein Nachgeben der Gläubiger die Eurozone in Gefahr bringen würde – sollten sich andere, größere Euromitglieder Griechenland zum Vorbild nehmen, wäre die Währungsunion erledigt. Und drittens, weil Tsipras ein selektives Verständnis von Politik hat – er nimmt sich für Griechenland Freiheiten heraus, die er anderen verwehrt. Partikularinteressen der griechischen Wähler müssen demnach von allen berücksichtigt werden, während beispielsweise die deutschen Wähler auf ihre nationalen Bedürfnisse verzichten und in die Rolle der guten Samariter schlüpfen sollen.

Doch je lauter Athen nach einer politischen Lösung ruft, desto mehr wird die Causa Griechenland auch in anderen Hauptstädten zum Politikum. Der Glaube der griechischen Führungsriege, Angela Merkel müsse nicht auf ihre Wähler hören, ist ebenso naiv wie die Vorstellung, der Rest der EU würde alles mit sich machen lassen, nur um Griechenland in der Eurozone zu halten. Die Währungsunion ist von dem Punkt, an dem die Kosten-Nutzen-Rechnung der griechischen Euromitgliedschaft ins Negative kippt, nicht mehr allzu weit entfernt.

Ob die Griechen nun den Euro behalten oder nicht – eine Frage werden sie so oder so für sich beantworten müssen: Sind sie Teil des entwickelten Westens oder ein Schwellenland auf dem Balkan?

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2015)

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