Die Talibanisierung Pakistans

Pakistan wankt bedenklich unter dem Vormarsch der Taliban. Aber noch ist das Land nicht kollabiert.

Wo die Gotteskrieger auftauchen, verstummt die Musik und die Friseure werden arbeitslos. „Blutplätze“ entstehen, auf denen die Fanatiker die Opfer ihrer rigorosen Justiz öffentlich zur Schau stellen: enthauptete Leiber, an Straßenlaternen oder Fußballtoren baumelnde leblose Körper. Ständig wird Jagd gemacht auf „Verräter“, „Spione“, „Islamfeinde“, „Ehebrecherinnen“.

Die Frauen verschwinden von den Straßen. „Wir sind Gefangene in unseren eigenen Häusern geworden, wir können nicht einmal Essen einkaufen gehen. Für uns ist alles vorbei“, klagte im pakistanischen Swat-Tal eine Leidtragende gegenüber dem Schriftsteller Mohammed Hanif. Er hat einen erschütternden Bericht in der „Neuen Zürcher Zeitung“ abgegeben, wie sich das Leben im Swat-Tal seit dem Vorrücken der Taliban und der Einführung der Scharia, dem islamischen Rechtssystem, radikal verändert hat.

Der Steinzeit-Islam, wie ihn afghanische und pakistanische Taliban vertreten, hat in seiner Rigorosität und seinem Fanatismus durchaus Parallelen zu den totalitären Gewaltsystemen des 20.Jahrhunderts: Hitlerismus, Stalinismus, Maoismus.


Diese Bewegung ist deshalb nicht nur eine Bedrohung für Pakistan und Afghanistan, sie ist eine Gefahr für die ganze Welt. Im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, der Brutstätte der Taliban, werden nicht nur die lokalen Gotteskrieger ausgebildet, es ist zum Rückzugs- und Trainingszentrum für islamische Fanatiker aus aller Welt geworden. Und Taliban, al-Qaida und unzählige andere Radikalengruppen haben sich offensichtlich zum Ziel gesetzt, den ohnehin auf äußerst wackeligem Fundament stehenden multiethnischen und multireligiösen pakistanischen Staat zu Fall zu bringen.

Wenn den Fanatikern das gelingt, wird nicht nur der Großteil des 170-Millionen-Volkes unter diesem Terrorregime entsetzlich leiden müssen. Ganz Südasien würde erschüttert. Es ist schwer vorstellbar, dass Indien einer Machtübernahme von unberechenbaren Islamisten im verfeindeten Nachbarland ungerührt zusehen würde. Denn Pakistan ist ein Atomwaffenstaat, mit mindestens 40, wahrscheinlich sogar doppelt so vielen Kernwaffen in seinen Arsenalen. Eine Atombombe in den Händen der Taliban oder des Terrornetzwerks al-Qaida, die beide nichts mehr hassen als den gottlosen Westen – braucht noch jemand ein dramatischeres Horrorszenario?

Nur, niemand kann den Pakistanis ihren Staat retten, das können nur sie selbst. Für die politische und militärische Elite Pakistans ist längst überfällig, sich mit den wirklichen Gefahren für ihren Staat auseinanderzusetzen, anstatt das Feindbild Indien zu pflegen. Diese Obsession hat das Denken der pakistanischen Elite vergiftet, hat sie dazu gebracht, die Entstehung der Taliban-Bewegung zu fördern, die jetzt den Staat direkt herausfordert.

Pakistans Politiker müssten ihrer Bevölkerung klarmachen, was ihr droht, wenn die Taliban ihre Terrorherrschaft errichten. Nur wenn die Mehrheit der Bevölkerung erkennt, was ihr da blüht, wird sie sich aus ihrer derzeitigen Lethargie rütteln lassen. Pakistans Militär müsste entschlossen den Kampf gegen die Fanatiker aufnehmen, die die Armee ja bisher bei jeder sich bietenden Gelegenheit gedemütigt haben. Pakistans Geheimdienst müsste in den eigenen Reihen aufräumen und die zahlreichen Taliban-Sympathisanten entsorgen. Pakistans Regierung müsste entschlossen Reformen im Bildungs- und Gesundheitsbereich und die Modernisierung der Infrastruktur angehen.

Der Westen muss helfen, denn das ist eine Mammutaufgabe, die die USA keinesfalls allein schultern können. Gewiss, die pakistanische Armee für die Aufstandsbekämpfung zu trainieren und sie mit dem entsprechenden Kriegsgerät auszustatten, können die Amerikaner am besten. Aber Pakistan wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen, muss ein Anliegen der ganzen internationalen Gemeinschaft sein. Denn auch Indern, Chinesen, Russen, Japanern oder Iranern, nicht nur Amerikanern und Europäern kann es nicht gelegen sein, dass im strategisch so wichtigen Pakistan bärtige Extremisten regieren und mit Atomwaffen herumfuchteln.

Pakistan muss nicht unter dem Ansturm der Taliban in sechs Monaten zusammenbrechen, wie das prophezeit wird. Wenn sich der pakistanische Staat entschlossen wehrt und ihm die Welt beisteht, kann der Bedrohung begegnet werden.


burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2009)

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