Die seltsame Ruhe vor dem notwendigen Sturm

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Die griechische Regierung hat es zu weit getrieben. Das macht den Grexit, in den Griechenland ungewollt zu taumeln droht, zum geringeren Übel.

I m Euroland herrscht seltsame Ruhe. Dabei naht die griechische Pleite. Aber das oft geübte Zittern und Händeringen blieb vor dem EU-Krisengipfel am Montag aus. Es macht einem resignierten Achselzucken Platz. Zeitungsleser verstehen das gut: Die griechische Tragödie weitet sich zur Seifenoper aus. Wir stehen gefühlt bei Folge 260, und den Drehbuchautoren fällt nichts mehr Neues ein. „Jetzt wird es ganz eng“: Man kann es nicht mehr hören, auch wenn noch so viele Milliarden Euro auf dem Spiel stehen. Nur die Griechen sind hellhörig dafür, welche Stunde schlägt.

Sie bringen ihre Euro ins Ausland oder unter die Matratze – eine Abstimmung am Bankomaten. Die Syriza-Regierung hat einen überschuldeten Staat übernommen, der kein Kataster kennt und keine Steuern eintreibt, in dem Korruption und Nepotismus blühen. Die Linkspopulisten haben es geschafft, alles noch schlimmer zu machen, indem sie auch den zaghaften Aufschwung abwürgen. Premier Tsipras und Finanzminister Varoufakis weigern sich standhaft, Reformen umzusetzen, und halten dennoch die Hand auf. Nicht als Bittsteller, sondern mit Beschimpfungen und Drohgebärden. Versuchen wir ihnen gerecht zu werden: Sie spielen keine Spielchen. Gefangen in ihrer Ideologie, glauben sie wirklich, man könne in einem Failed State alles beim Alten lassen und einen Kuchen verteilen, den das Land nie in der Lage war zu backen. Aus der Krise herauswachsen, heißt das dann wohl. Solidarisch subventioniert von Steuerzahlern anderer Länder. Die dürfen es nicht wagen, für ihre 325 Milliarden Euro echte Reformen als Sicherheit zu verlangen, weil so etwas stolze Griechen schrecklich kränkt.

Aber Tsipras und Varoufakis sind nicht so naiv, dass sie glauben, sie könnten den Rest Europas zu dieser Sicht bekehren. Nein, die Wahrheit ist schäbiger: Der Konfrontationskurs ist ihre einzige Chance, an der Macht zu bleiben. Wenn sie ernsthaft verhandeln, jagt sie ihre Klientel, der sie das Blaue vom ägäischen Himmel versprochen haben, vom Thron. Wenn es ihnen aber gelingt, den EU-Granden ohne jede Konzession weitere Milliarden abzupressen, indem sie alte Ängste vom Ende der Eurozone neu schüren, dann sind sie die großen Helden. Wenn sie damit scheitern, könnten sie immer noch als Märtyrer durchgehen. Dass sie damit sehenden Auges auf einen ungeplanten Grexit zusteuern und Not und Elend riskieren, macht ihr Kalkül so verwerflich.

Welcher Teufel aber Werner Faymann geritten hat, bleibt ein Rätsel. Er ließ sich mit seinen Auslassungen in Athen vor den Syriza-Karren spannen und torpedierte so alle Bemühungen der Verhandler. Aber Österreichs Kanzler ist in Europa eine so kleine Nummer, dass der peinliche Ausritt in den Wirren dieser Tage gottlob gnädig unterging.

Die EU-Verhandler sind aus anderem Grund frustriert. Ihr Ritual des Ringens um Kompromisse läuft ins Leere. Vielleicht muss man den Provokateuren noch dankbar sein für ihre Sturheit, wenn sie zur Läuterung führt. Erst ging es um Banken, dann um die Ansteckung anderer Krisenländer. Nun geht es um anderes: Wenn die Regierung in Athen Versprechen ihrer Vorgänger aufkündigt und dennoch weiter Hilfe bekommt, ist das ein Bankrott der Eurozone als gerechter Solidargemeinschaft. Das üble Beispiel würde Iren, Portugiesen und Balten an Europa verzweifeln lassen. Und Schule machen: Im Herbst könnte Podemos die Wahl in Spanien gewinnen – und dann gute Nacht, Eurozone.

Das Eurosystem sieht nicht vor, dass ein Mitglied (vorübergehend) wegfällt? Das lässt sich ändern. Die EU-Mitgliedschaft ist an den Euro gekettet? Auch das ist nicht in Stein gemeißelt. Sehr wohl aber dies: Was die Union zusammenhält, sind gemeinsame Werte. Inhaltliche, wie die Ablehnung der Todesstrafe. Juncker hat völlig recht, wenn er Premier Orbán in Ungarn mit dem Rauswurf droht, weil er an diesem Fundament rüttelt. Aber es gibt auch formale Werte. Wie diesen: dass jeder Partner einhält, was er versprochen hat. Noch mehr gilt das für die engere Währungsunion. Was heute auf dem Spiel steht, ist die moralische Geschäftsgrundlage: dass die Nationen, die in Europa vereint sind, sich im Geben und Nehmen noch vertrauen können.

E-Mails an:karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2015)

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