An die Wand gefahren

Paper receipts from withdrawals are seen in a litter box at an Eurobank ATM that was emptied by people withdrawing cash, in Athens
Paper receipts from withdrawals are seen in a litter box at an Eurobank ATM that was emptied by people withdrawing cash, in Athens(c) REUTERS (YANNIS BEHRAKIS)
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Die griechische Regierung führt ihr Land in den Bankrott. Die Geduld der Geldgeber ist zu Ende. Doch man kann Griechenland nicht so einfach aus der Eurozone oder der EU werfen.

Was alle verhindern wollten, weil es niemandem etwas bringt, ist auf einmal ein bedrohlich nahes Szenario: der Austritt Griechenlands aus der Europäischen Union und aus der Eurozone. Über Nacht ist Plan B zu Plan A geworden. Die Finanzminister der Eurozone lehnten am Samstag bei ihrem Sondertreffen in Brüssel eine Fortsetzung des Hilfsprogramms für Griechenland ab und sprachen erstmals über die Modalitäten eines Grexit, eines griechischen Austritts.

Unberechenbarkeit ist mittlerweile die einzige Konstante im Regierungsstil von Alexis Tsipras. In der Nacht auf Samstag überraschte der griechische Premier abermals mit einer Volte – und stieß damit den Verhandlungstisch um: In einer Fernsehansprache um Mitternacht kündigte der Chef der linken Syriza seinen überraschten Bürgern an, am 5. Juli ein Referendum abzuhalten.

Ein in jeder Hinsicht innovativer Vorstoß, sowohl zeitlich als auch inhaltlich: Der Premier schlug den Griechen nämlich nicht etwa vor, über ein Abkommen mit den internationalen Geldgebern abzustimmen; ein solcher Deal existiert bekanntlich nicht. Nein, Tsipras rief das griechische Volk am Vorabend einer alles entscheidenden Sitzung mit den Euro-Finanzministern auf, ein „Urteil zu sprechen über das erpresserische Ultimatum“ der Kreditgeber und deren „erniedrigende Austeritätsmaßnahmen“.

In einem regressiven Anfall schlüpfte der Regierungschef in die Rolle des Oppositionsführers. Anstatt seinen Bürger in einer Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede zu erklären, dass Griechenland ohne Reformen keine Milliardenkredite mehr erhalten wird, wiegelte er sie gegen die Gläubiger auf. Nur, wohin das führen soll, verriet der gute Mann nicht. Er wird doch selbst nicht geglaubt haben, dass sich die Europäische Zentralbank, die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds von einem griechischen Misstrauensvotum erweichen lassen und vor lauter Rührung den Geldhahn ohne jegliche Auflagen bis zum Anschlag aufdrehen.

Abgesehen davon hätte es Tsipras vielleicht etwas früher einfallen sollen, ein Referendum anzusetzen. Am 30. Juni, fünf Tage vor der geplanten Abstimmung, läuft ein Milliardenkredit des IWF aus. Falls Griechenland bis dahin die ohnehin gebündelten Raten nicht aufbringen kann, gilt es als zahlungsunfähig. Und zusammenkratzen hätte die klamme Regierung das Geld nur können, wenn die „Institutionen“ weitere Kredite freigeben. Tsipras bat, das „Hilfsprogramm“ um „ein paar Tage“ bis zum Referendum zu verlängern. Doch dieses Spielchen lehnten die Euro-Finanzminister nun rundweg ab.

Ausgepokert. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Tsipras hat Griechenland mit seinem Referendum ein gutes Stück näher an die Pleite gerückt – und seine eigene politische Bankrotterklärung eingereicht. Die Griechen müssten spätestens jetzt wissen, dass dieser Mann nicht geeignet ist, ein Land zu regieren. Am 5. Juli hätten sie die Chance, für Europa zu stimmen und Syriza abzuwählen. Doch wer votiert schon für harte Reformen? Es wäre die Verantwortung des Premiers gewesen, Hellas durch die Krise und zu einer Einigung mit den Geldgebern zu führen. Stattdessen fährt er das Land an die Wand.

Arme Griechen. Am Montag schon könnte ihnen das Geld ausgehen. Und wie es dann weitergeht, weiß niemand so genau. Es ist nun alles Neuland. Für einen Grexit müssten die Regeln erst geschrieben werden. Kein Mitglied kann aus der Eurozone geworfen werden, und auch nicht aus der EU. Griechenland müsste den Antrag auf einen EU-Austritt laut Artikel 50 des Lissabonner Vertrags schon selbst stellen. Doch warum sollte es das tun? Die EU könnte demnächst ein Mitglied in ihren Reihen haben, das alles blockiert. Suspendiert werden kann das Stimmrecht eines Staates nur, wenn er gegen Grundrechte (Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte) verstößt. Das aber hat Tsipras nicht getan. Er hat nur gegen jede wirtschaftliche und politische Vernunft verstoßen. Schlimm genug.

Emails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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