Zwischen Ideologie, Sturheit und Verantwortungslosigkeit

Griechenland pokerte zu hoch, Deutschland war zu hart, die politische Basis des Euro zu schwach. Schlechte Vorzeichen für eine gemeinsame Zukunft.

Manchmal haben sie sogar gelacht. Es war wie bei einem Begräbnis, bei dem alle versuchen, den Spannungen zu entrinnen. IWF-Chefin Christine Lagarde posierte gar mit Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem vor den Kameras. Nur zwei Personen waren irgendwo in ihren Zimmern verschwunden: der griechische Finanzminister, Yanis Varoufakis, und sein deutscher Amtskollege, Wolfgang Schäuble. Sie haben es nicht geschafft, all die Gräben zwischen einander zu überwinden.

Ja, es waren auch persönliche Eitelkeiten, Überheblichkeiten, Sturheiten, die einen Kompromiss zur Rettung Griechenlands verhindert haben. Das Land wird aller Voraussicht nach pleitegehen, der Rest der EU wird zusehen und hoffen, dass der eigene Schaden gering bleibt.

Zweifelsfrei fehlte der Links-rechts-Regierung in Athen das Verantwortungsgefühl sowohl für das eigene Volk als auch für das gemeinsame Europa. Zu viele wahltaktische, politische, ideologische Spiele haben Regierungschef Alexis Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis betrieben. Das Scheitern ist Illusionen und Rücksichtnahmen geschuldet. Jetzt, da ihr Volk wohl noch größeren Schaden als ein paar Einsparungen zu überwinden hat, werden sie jene Losung verbreiten, mit der sie schon in der Vergangenheit innenpolitisch punkten konnten: „Wir sind die Opfer.“


Aber nein. Europa kann nicht nur dann herhalten, wenn es darum geht, kapitale Fehler in einem Mitgliedstaat gemeinsam auszubügeln. Es muss auch ein Grundkonsens über gemeinsame Werte und die gemeinsame Verantwortung bestehen. Dieser Grundkonsens war in diesen schwierigen Verhandlungen ein großes Defizit der griechischen Seite – aber nicht nur. Alle – auch die harte deutsche Seite – haben innenpolitische Erwägungen über den gemeinsamen Erfolg gestellt. Was für ein Europa – in dem das Projekt einer gemeinsamen Währung riskiert wird, nur um radikal linke und weit rechts außen stehende Gruppen in Schach zu halten?

Die griechischen Verhandler haben unsinnige Positionen bezogen – sei es bei den Steuerbegünstigungen für Inseln, bei den notwendigen Privatisierungen oder bei den viel zu hohen Militärausgaben. Sie haben dadurch auch bei ihren berechtigten Anliegen, wie etwa bei Mindestpensionen, an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Der Vorschlag einer Volksabstimmung über das notwendige Sparprogramm mag in früheren Monaten vielleicht nachvollziehbar und sogar sinnvoll gewesen sein. Nun war er kontraproduktiv. Tsipras und Varoufakis hätten angesichts der fortgeschrittenen Zeit selbst entscheiden müssen.


Der Rest der Euro-Gruppe war freilich nie bereit, ernsthaft über das eigentliche Problem der Krise zu sprechen: einen nie und nimmer abbaubaren Schuldenberg. Was hier auf dem Tisch lag, waren nur Lösungen für Monate, nicht für Jahre oder gar Jahrzehnte. Wäre die Gemeinschaft der europäischen Regierungen selbstbewusst und handlungsfähig, hätten diese längst Lösungen für einen kontinuierlichen Abbau all ihrer nationalen Schulden debattieren müssen. Italien sollte daran ebenso Interesse haben wie Österreich und viele andere Länder. Vorschläge wie die Gründung eines Schuldentilgungsfonds liegen seit Jahren auf dem Tisch. Aber die nicht abbaubaren Staatsschulden sind ein Tabu geblieben. Man schiebt sie vor sich her wie einen Berg von Mist und Gülle. Jeder riecht, dass da etwas faul ist, aber niemand räumt ihn weg.

Ein gemeinsames Europa, in dem Regierungen nur noch die von ihnen selbst verursachte Verwirrung der Bevölkerung mit immer neuen Worthülsen bedienen, wird wohl auch in Zukunft nicht funktionieren. Ob es um Budgetkürzungen oder Schuldenabbau geht, es fehlte der politische Mut. Wirtschaftlich wird es noch keine Katastrophe sein, wenn sich Griechenland nicht mehr im Euro hält. Für die internationale Glaubwürdigkeit der Europäischen Union wäre ein solches Ergebnis der Verhandlungen – wenn es so bleibt – aber ein erheblicher Schaden.

E-Mails an:wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2015)

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