Die griechische Trutzburg und das verstörte Europa

Der Graben zwischen Griechenland und dem Rest der Eurozone ist tief. Kein Kompromiss kann ihn zuschütten, sondern nur ein gemeinsames Ziel.

Jetzt ist der Riss da: Griechenland hier, Europa dort, dazwischen ein tiefer Graben. Eben noch haben sich Verhandlungspartner angelächelt, auf die Schulter geklopft, gescherzt. Nun fühlt sich ein verbitterter Kommissionspräsident hintergangen. Ein trotziger griechischer Finanzminister droht mit dem Gang zum Europäischen Gerichtshof. Zornige Bürger skandieren in Athen ein Nein zu den Forderungen der Gläubiger. Ihr Getrommel gibt ungewollt die Marschrichtung vor: raus aus dem Euro. Die Griechen ziehen sich in eine emotionale Trutzburg zurück, wie einst in ihre steinernen Türme bei Angriffen der Türken. Wer sich als Österreicher darüber wundert, sei an die Zeit der Sanktionen gegen die schwarz-blaue Regierung erinnert. Die Fronten sind verhärtet: „Ihr stürzt uns ins Elend!“, schreien die einen. „Ihr habt hunderte Milliarden verbrannt, für die wir geradestehen!“, heulen die anderen. Es herrscht Feindseligkeit. Das ist für jeden Freund der europäischen Idee eine erschreckende und bittere Erfahrung.

Sie wirft die bange Frage auf, was hier schiefgelaufen ist – und ob man der wild gewordenen Syriza-Truppe allein die Schuld geben kann. Leicht vorstellbar, dass Brüsseler Bürokraten und Frankfurter Finanzjongleure falsch einschätzen, was machbar ist. Dass unsere Politiker, die sich nur von einem Wahltermin zum nächsten retten, die Tragweite nicht absehen. Aber hier ist noch ein Dritter im Bunde: der Währungsfonds als globaler Geld- und Ratgeber für Staaten in Not. Auch er ist nicht ohne Fehl, weit gefehlt. Aber eine Institution mit langem Atem, die aus Irrtümern lernt. So hat der IWF eine besondere Kompetenz für Fälle drohenden Ausfalls entwickelt. Merkel sei Dank, dass sie darauf bestanden hat, ihn an Bord zu holen.

Eben die Delegation aus Washington aber ist zuletzt hart geblieben. Ihr Argument: Es hilft nichts, wenn Athen auf dem Papier Steuern erhöht, die gar nicht eingetrieben werden können. Kein Haushalt ohne Haus, ohne funktionierendes Staatsgefüge. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, bei seinem Aufbau zu helfen. Deutsche Berater reisten frohgemut an und kamen frustriert zurück, ein geflüstertes „Failed State“ auf den Lippen. Gegen eine Ordnung, wie wir sie kennen, gibt es in Hellas starke Widerstände, von einer korrupten, nepotistischen Macht- und Geldelite. Gehören auch Tsipras & Co. dazu? Auf jeden Fall kämpfen sie nicht dagegen an.

Also müssten weiter Ausgaben gekürzt werden, etwa beim absurd überdotierten Militär. Ja, und auch bei den Pensionen, die für die Leistungsfähigkeit des Landes immer noch zu hoch sind. Von einer solchen Rente zehrt oft eine ganze Familie. Auch das ist ein Zeichen eines gescheiterten Staates: dass er sich nur mit Geld aus dem Ausland über Wasser halten kann. In Bosnien sind es die Überweisungen der Ausgewanderten, in Griechenland die Hilfskredite.

War es also sträflich naiv, an eine Gesundung zu glauben? Waren die Milliarden von Anfang an verloren? Diese These ist populär und prägnant, aber falsch. Griechenland hat Primärüberschüsse erzielt und im Vorjahr auch ein Wachstum in der Wirtschaft. Die hohen Zinszahlungen, um die es aktuell geht, trügen: In den kommenden Jahren stünde wenig an. Die Tilgung soll erst in Jahrzehnten erfolgen. Genug Zeit, um irgendwann Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Dass die Bürger die Geduld verlieren, ist verständlich und zu respektieren. Dass die Linkspopulisten ihnen eingeredet haben, sie könnten trotzdem den Euro behalten, ist ihre historische Schuld. Aber „zu hoch gepokert“ haben sie nicht. Hier stoßen konträre Überzeugungen aufeinander, wie Wirtschaft funktionieren kann. Und die von Syriza ist so radikal wie radikal falsch.

Wir müssen in der EU damit leben lernen, dass nicht in jeder Frage ein Kompromiss möglich ist. Für Europa ist fundamental, dass alle zumindest grob in eine Richtung ziehen. Es ist nun einmal kein Nationalstaat, der seine Identität aus einer Sprache, der „ZiB“, dem Wetterbericht und der Bundesliga zieht. Es ist ein Gebilde mit anderer Basis. Gemeinsame Werte, mit Pathos gesagt. Oder nüchterner: Ziele. Sie lassen sich nicht beliebig weichspülen, bis es für alle passt. Je klarer wir sie fassen, desto stärker wird das Europa von morgen sein.

E-Mails an: karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.