Wo sich Angela Merkel die Zähne ausbeißt

Germany´s Chancellor Angela Merkel Attends Parliament Ahead Of Summer Recess
Germany´s Chancellor Angela Merkel Attends Parliament Ahead Of Summer Recess(c) Bloomberg (Krisztian Bocsi)
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Die Lehren aus dem Fall Griechenland(s): In der EU können ganz Kleine die Großen vorführen. Und wer Populisten wählt, bekommt die Rechnung dafür.

Es ist schlicht nicht möglich, die Strategie und die Logik der griechischen Verhandler zu verstehen. Sie haben weder das eine noch das andere. Die am Sonntag stattfindende Volksbefragung ist einer der absurdesten Wahlgänge in der Geschichte der Demokratie, just an dem Ort, an dem die ganze Chose erfunden wurde. Eine neue Regierung, die ein Mandat in Form eines Wahlsieges erhalten hat, versucht, ihre Wahlversprechen einzuhalten. Das gelingt ihr nicht, weil das Land fast ausschließlich von Zahlungen aus dem Ausland lebt. Denn die Geldgeber verlangen im Gegenzug einen Sparkurs (etwa auch beim Militär) und so unmenschliche Strafen wie etwa den Aufbau echter Finanzbehörden, die erstmals flächendeckend Steuern eintreiben, und die Einführung eines echten Grundbuches. Dieses Programm, das allerdings auch den Bruch einiger Wahlversprechen (etwa bei den Pensionen) bedeuten würde, lehnt die Regierung ab. Obwohl sich die Verhandler schon sehr nahegekommen sind. Und setzt kurzfristig eine Volksbefragung über das Programm an und empfiehlt ein Nein. Direkte Demokratie als Teil der Verhandlungsstrategie und Abwälzen der Verantwortung dafür, dass nächste Woche in Griechenlands Städten endgültig das Chaos ausbricht. Das Programm, über das abgestimmt wird, gibt es übrigens rechtlich gar nicht (mehr). Selbst bei einem Ja beginnt einiges wieder von vorn.

Dennoch wäre ein Ja ein wertvoller Beitrag für die Rettung des Landes und – nicht weniger wichtig – für die Glaubwürdigkeit Europas. Ein Nein führt das Land ins Aus. Ein Ausstieg Griechenlands aus dem Euro sollte aber ohne Alternative sein. Wenn die Bevölkerung den Beinahe-Kompromiss ablehnt, muss das eine neue, radikal abgewertete Währung bringen. Dadurch würden die importierten Waren, von denen Griechenland abhängig ist, radikal teurer. Aber: Das „linke“ Island hat vorgemacht, dass man mit radikaler Abwertung der Währung und scharfer Steuerpolitik aus der Schuldenkatastrophe herauskommt. Das war hart und schmerzlich für die disziplinierten und selbstbewussten Inselbewohner, aber durchaus erfolgreich. Der IWF wurde einst mit nassen Fetzen verjagt, heute lobt er das Land. Vor allem darf Europa nicht noch einmal beweisen, dass alles erlaubt ist. Warum soll noch irgendein Land sparen, die eigenen Finanzen kontrollieren, wenn weiter Geld nach Athen geschickt wird, wo ein Sparkurs quasi offiziell abgelehnt wird?

Griechenland hat die Schwäche der EU offengelegt: Von der viel zitierten Hegemonie Deutschlands und des Juniorpartners Frankreich ist nicht viel zu spüren. Ein paar Cowboys in der Regierung eines wirtschaftlich und politisch unbedeutenden Mitglieds reichen schon aus, um die gesamte politische Elite des Kontinents mit Angela Merkel an der Spitze über Monate zu beschäftigen und am Schluss wie die Amateure vorzuführen. Die Herren von der Syriza haben die politischen Machos gegeben und in Wahrheit wussten die anderen Regierungschefs nicht, wie sie damit umgehen sollen.

Sollte – was nicht übertrieben wahrscheinlich ist – Griechenland mit Ja stimmen, würde dies von einer außergewöhnlichen politischen Reife der Bevölkerung zeugen: Ein Sparpaket auch noch mittels Urnengangs zu begrüßen, wäre etwa in Österreich nicht wahrscheinlich. Denn seit Viktor Orbáns Ungarn, bis zu einem gewissen Grad Silvio Berlusconis Italien und Jörg Haiders Kärnten wissen wir: Dort, wo die alten Parteien verschwinden und/oder mutieren, bringen die Rattenfänger mit den einfachen Parolen vor allem Instabilität des gesamten Systems. An der Spitze stehen fast ausschließlich Personen, denen die europäische Gemeinschaft nicht nur unwichtig, sondern lästig ist. Und die alles unternehmen, um sich auf Kosten des großen Systems, der anderen Länder zu profilieren. Die Populisten eint die lockere Hand beim Geldausgeben. Das ist fahrlässig und eine Gefahr für die Union. Dass sich konservative Parteien an den Rechtspopulisten, (etwa beim Thema Asyl), sozialdemokratische an Syriza (etwa gegen Budgetdiszplin und für höhere Sozialausgaben) orientieren, zeigt die Problematik für die gesamte Union. Die Griechen könnten am Sonntag ein Zeichen gegen den Populismus setzen. Oder sich in den Sommer verabschieden.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2015)

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