Es gibt so etwas wie Staatsräson

Austrian Chancellor Faymann leaves the podium after a speech in Vienna
Austrian Chancellor Faymann leaves the podium after a speech in ViennaREUTERS
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In der Politik verrohen die Sitten. Es ist höchst an der Zeit, an die eigentliche Aufgabe der Herrschaften zu erinnern: den Bürgern und dem Staat zu dienen. Nicht der eigenen Partei und Karriere.

Da brüllt ein Landeshauptmann einen Kanzler an, da verlassen Landeshauptleute genervt den Verhandlungstisch, da nützt ein schlichter Oppositionspolitiker jeden noch so tragischen Anlass, um sich wichtigzumachen, da entscheidet ein Kanzler stets nur mit bestimmten Medien, da verweigern andere Landeshauptleute das Erfüllen von Vereinbarungen. Die politische Kultur Österreichs war im Vergleich zu Wirtschaft, Literatur, Skisport und Musik schon immer ein eindeutiger Beweis für den Zwergenstatus des Landes, nun verroht sie immer mehr.

Während wir in wichtigen Bereichen immer mehr zurückfallen – die lobenswerte Ausnahme ist die Forschung – und das ganze Land fürchtet, dass der Wohlstand nicht größer, sondern kleiner wird, arbeiten fast alle Politiker in diesem Land hemmungslos daran, einen Vorteil aus der jeweiligen Situation zu ziehen. Während selbst Harmoniefanatiker angesichts des Abtauchens und Durchwurstelns in der politischen Arena zornig werden, wagt sich in Regierung und Parlament niemand inhaltlich aus der Deckung. Und nein, so macht man nicht Wahlkampf, Freunde von der knallrosa Fraktion, aber das nur nebenbei.

Wirklich wichtig ist etwas anderes: Es wäre höchst an der Zeit, dass sich die Damen und Herren in der Regierung, in den Ländern und der Opposition an ihre Aufgabe erinnerten und nicht nur für die eigene Karriere, den eigenen Vorteil und die eigenen Partei arbeiten, sondern für den Staat und die Wähler. Es ist höchst an der Zeit, die kollektive Wahlkampfhilfe für Heinz-Christian Strache zu beenden. Denn auch sein Ibiza zahlen letztlich wir.

Das beginnt beim Ton: Selbst wenn ein Bundeskanzler klein ist, verdient er Respekt und Höflichkeit. Dafür gibt es auch eine Verpflichtung zu politischem Handwerk, echter Arbeit und inhaltlicher Vorbereitung: Ein politisches Kabinett ist nicht nur dazu da, schöne Fotos und gute Presseaussendungen zu produzieren, sondern inhaltlich vorzubereiten, etwa mit einem abgestimmten Konzept für eine Lösung der Unterbringung für Flüchtlinge. Oder denken wir an die viel gelobte und auch kritisierte Sozialpartnerschaft. Wenn es schon solche Kammern und Interessenvertretungen gibt, dann sollten sie schon funktionieren und verhandeln.

Dass bei Themen wie Pensionen und Arbeitszeitflexibilisierung nichts mehr geht, hat dem Vernehmen nach auch damit zu tun, dass die einen den anderen keinen Erfolg gönnen. Beziehungsweise die einen den anderen gern ein ungelöstes Problem vorwerfen. Außerdem stehen zur großen Überraschung tatsächlich Landtagswahlen an. Und davor gehe deshalb überhaupt nichts mehr.

Das ist unerträglich.

Um es einmal untypisch zu formulieren: Dieses Land braucht vielleicht gar nicht einmal die großen Reformen, die großen Helden und die radikalen Veränderungen. Die gibt es nämlich ohnehin nicht.

Es würde vorerst einmal reichen, wenn das handelnde Personal macht, wofür es bezahlt wird: also seinen Job. Und wir verzichten bewusst auf den Zusatz „verdammten“.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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