Das große Spiel des griechischen Premiers

Pro-European Union Rally As European Leaders Offer No Concessions To Greece
Pro-European Union Rally As European Leaders Offer No Concessions To Greece(c) Bloomberg
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Nun liegt alles an Berlin. Denn nach der politischen Logik müsste Athen nach seinen späten Zugeständnissen doch noch gerettet werden.

Absurd ist es schon: Das griechische Volk stimmt mit einer großen Mehrheit gegen Sparauflagen der Kreditgeber, und eine Woche später liegt ein Papier der Regierung in Athen auf dem Tisch, das ebensolche Spar- und Reformauflagen nach sich ziehen wird. Der Grund dafür ist relativ simpel: Ministerpräsident Alexis Tsipras kann sich das nun leisten. Er kann flexibler sein als noch vor dem Referendum, weil er sicherer im Sattel sitzt. Er verkauft das Paket daheim als Erfolg, denn zu einem guten Teil werden – wie es einer linksextremen Partei gebührt – Reiche und Unternehmen zusätzlich belastet.

Natürlich schrien in Athen am Freitag dennoch einige „Verrat“, weil die Regierung auch erhebliche Zugeständnisse an die Kreditgeber wie bei der Besteuerung von Inseln, der Privatisierung oder bei der Pensionsreform machte. Einige wenige sprachen sich sogar für ein Zurück zur Drachme aus. Tsipras hat – ob bewusst gepokert oder durch einen Glücksfall – Handlungsfähigkeit zurückgewonnen. Wer sonst, fragte der belgische Liberale Guy Verhofstadt diese Woche in einer hitzigen Debatte im Europaparlament, habe nach einem solchen Wahlerfolg, einem solch eindeutigen Referendum die Chance, im Land etwas zu bewegen? „Tun Sie es doch!“

Es ist allerdings zu bezweifeln, dass Tsipras diese Chance tatsächlich nutzt. Seine Politik wirkte bisher nur wie ein großes taktisches Spiel. Konkrete Reformen leitete er im vergangenen halben Jahr keine ein. Weder wurden Privilegien noch der aufgeblähte Verwaltungsapparat reduziert. Öffentliche Posten besetzte die neue Regierung wie in der Vergangenheit durch politische Gefolgsleute.

Alles nur Spiel? In der Schuldenkrise hat Tsipras den Ball nun seinem liebsten Gegner, den Deutschen, zugespielt. Sie müssen plötzlich reagieren statt zu diktieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble sind für den Moment in einer weit misslicheren Lage. Nachdem Athen seine relativ weitgehenden Reformvorschläge abgeschickt hat, müssen sie entscheiden, ob sie innenpolitische Kontroversen oder die Verantwortung für mögliche Folgen einer griechischen Pleite auf sich nehmen. Gewinnen können sie nicht.

Wenn sie den Daumen heben, Griechenland ein neues Rettungspaket, vielleicht sogar eine Umschuldung zusichern, müssen sie daheim mit Kontroversen rechnen. In der CDU und erst recht in der CSU gärt es, Beschlüsse zu einem neuen Hilfspaket im Bundestag sind für die Regierung in Berlin hochriskant. Wenn sie den Daumen hingegen senken, dann wird der deutschen Regierung die Schuld für alle negativen Folgen in Griechenland und in weiteren Krisenländern zugeschoben werden. Dann geschieht, was Merkel nie wollte: Eine politische und wirtschaftliche Kluft wird innerhalb Europas aufbrechen.

Es geht auch um das deutsche Image. Denn schon in den vergangenen Monaten wurde das Land zum Sinnbild eines hartherzigen, neoliberalen Europa. Eigentlich ist auch das absurd: Trotz Hartz IV verfügt Deutschland über ein weit besser funktionierendes soziales Netz als Griechenland. Laut UN-Berechnungen weist Deutschland heute deutlich geringere Einkommensunterschiede als der griechische Staat auf. Merkel war nie eine Verfechterin des Neoliberalen, sondern stets eine auf soziale Marktwirtschaft fixiert Mitte-Politikerin.

Deutschland ist aber auch nicht ganz unschuldig in diese unangenehme Lage geraten. Denn Finanzminister Schäuble hat sich in den vergangenen Wochen nicht gerade konstruktiv um eine Lösung des Schuldenstreits bemüht. Es ging ihm auch um einen ideologischen Sieg. Mit Verbissenheit und Überzeugung wollte er dieser radikalen Regierung in Athen keinen Erfolg gönnen. Und zweifellos war das innerhalb der EU im Sinn vieler – auch seines Koalitionspartners, der SPD. Die Schuldenkrise ist zum Stellvertreterkrieg zwischen etablierten Parteien und neuen politischen Bewegungen geworden.

Alexis Tsipras mag lachen, obwohl es dafür zu früh ist. Einstweilen hat er zwar politisch gut gepokert, in der Sache – siehe nur die sozialen Auswirkungen geschlossener Banken – aber seinem Land keinen guten Dienst erwiesen.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2015)

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