Tsipras ist nicht der einzig Schuldige an der Kluft in Euroland

Misstrauen regiert in der Währungsunion. Verursacht haben das auch jene Hardliner, die einen Kurswechsel in der Krisenpolitik verhindern wollen.

Am Ende blieb der gescheiterte Versuch einer Erklärung. Einer Erklärung, die wie eine Entschuldigung für den eigenen Misserfolg klingt, gleichzeitig aber als Anklage gegen die Verhandlungspartner verstanden werden soll: „Wir haben das Beste erreicht, was möglich war“ – so lautet das Resümee von Alexis Tsipras nach der 17-stündigen Gipfelnacht, die mit einem Kompromiss endete und doch so viel Misstrauen und Zwietracht zwischen den Europartnern zutage förderte, wie dies in der Geschichte der Währungsunion einzigartig ist. Der monatelange Nervenkrieg des griechischen Regierungschefs und seiner Gläubiger hinterlässt einen tiefen Riss in der Union, der so schnell nicht zu kitten sein wird.

Die Hauptschuld daran trägt auf den ersten Blick Tsipras allein. Er riskierte die Zukunft des griechischen Volkes, um den aus seiner Sicht wichtigeren Einsatz nicht zu verlieren: die Rolle als glaubhafter Staatsmann, der für die Einhaltung unrealistischer Wahlversprechen zu (fast) allem bereit ist. Tsipras wusste um die Überlegenheit seiner Verhandlungspartner, doch ihre Entschlossenheit hatte er unterschätzt. Der viel zitierte Grexit war plötzlich ein Szenario, für das es einen konkreten Plan gab.

Deshalb musste der Linkspopulist einlenken – und verlor damit das Vertrauen eines ganzen Volkes: Exakt eine Woche nachdem die Griechen in einem Referendum mit großer Mehrheit gegen die – damals noch vergleichsweise moderaten – Vorschläge der Geldgeber gestimmt hatten, beugte sich der Regierungschef dem neuen, weit restriktiveren Forderungskatalog der Europartner beinahe auf der ganzen Linie. Dieser umfasst die Verabschiedung zentraler Gesetzesvorhaben bis zum morgigen Mittwoch und einen Privatisierungsfonds, in den griechische Vermögenswerte überführt werden sollen, um sie großteils für die Schuldentilgung zu nützen. Auch der IWF, den Griechenland bei den Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket nicht mehr dabei haben wollte, soll wieder mit an Bord sein. Ein Schuldenschnitt – die wichtigste Forderung der Regierung in Athen – bleibt hingegen ein frommer Wunsch, dem die Geldgeber nicht nachgeben wollen. Alles, was Tsipras seinem Volk versprochen hat, ist mit diesem Reformprogramm reine Makulatur. Und selbst, wenn die griechischen Abgeordneten in Anbetracht der katastrophalen Lage für das Paket stimmen: Der Regierungschef ist rücktrittsreif.


Dass es zur tiefen Kluft in Euroland kommen musste, haben aber auch jene Kräfte zu verantworten, die mit ihrem Handeln ein Zeichen setzen wollten, das weit über das hellenische Schuldendrama hinausgeht. So logisch – und notwendig – die Gleichung Hilfsgelder gegen Reformen ist: Im Streit um die Finanzierung Griechenlands ging es in den vergangenen Wochen um einen weiteren, mindestens ebenso wichtigen Faktor: den Faktor der Macht. Die Hardliner unter den Finanzministern – allen voran Deutschlands Wolfgang Schäuble – spielten ihn aus, zunächst geschickt, dann verhärmter, doch immer mit dem gleichen Ziel: den Menschen in Europa zu demonstrieren, dass ein Kurswechsel in der europäischen Krisenpolitik nicht möglich ist, egal, was wahlkämpfende Parteien in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten auch fordern mögen.

Das ist ihr gutes Recht, doch dem Projekt der Europäischen Union ist damit nicht gedient: Dieses Projekt muss flexibel bleiben und demokratisch sein, sollen irgendwann Pläne für eine weitere Integration verwirklicht werden. Derzeit droht die EU schon an der einfachen Frage zu scheitern, wie weit die Solidarität mit einem Mitgliedstaat gehen darf.

E-Mails an:anna.gabriel@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2015)

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